Belastungsstörung:Traumatischer Einsatz

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Polizistin klagt nach Schüssen auf Kollegin gegen den Freistaat

Von Stephan Handel

Fast zwei Jahre sind seit den Schüssen am S-Bahnhof Unterföhring nun schon vergangen: Am 31. Juni 2017 verletzte der geistig erkrankte Alexander B. die Polizistin Jessica L. so schwer, dass sie seitdem im Wachkoma liegt. Alexander B. wurde im April des vergangenen Jahres zur Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik verurteilt. Nun aber war das tragische Ereignis erneut Thema eines Prozesses - dieses Mal vor dem Münchner Verwaltungsgericht.

Die Klägerin Iris R., 33 Jahre alt, ist Polizeihauptmeisterin, zum Zeitpunkt des Vorfalls tat sie Dienst in der Polizeiinspektion 22 in Bogenhausen und kam als erste zum Tatort - wo sie ihre durch einen Kopfschuss verletzte Kollegin sah. Dieses Erlebnis verfolge sie bis heute, gibt sie an: Schlafstörungen, Angstzustände, vor allem aber wiederkehrende und nicht kontrollierbare Erinnerungen an das Geschehen, sogenannte Flashbacks. Als es jedoch um die Anerkennung ihrer Leiden als Dienstunfall ging, verwehrte ihr das zuständige Landesamt für Finanzen die Anerkennung des Krankheitsbildes als Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), im Bescheid stand vielmehr nur die Diagnose "Anpassungsstörung mit Teilsymptomen einer PBTS". Dagegen klagte die Polizistin nun vor dem Verwaltungsgericht.

Es gibt in diesem Fall zwei psychiatrische Gutachten, und das Erstaunliche dabei ist, dass das der Amtsärztin vom Medizinischen Dienst der Polizei für die Klägerin vorteilhafter ist als das andere, das ein niedergelassener Psychiater erstellt hat. Die Amtsärztin hatte die PBTS ohne Einschränkungen diagnostiziert, während der zweite Gutachter eben nur Teilsymptome erkennen konnte. Für die Klägerin kann das - auch wenn es zunächst nur auf dem Papier steht - entscheidend sein, wenn sich im weiteren Verlauf ihres Berufslebens Einschränkungen einstellen sollten, die auf ihr Erlebnis vom Juni 2017 zurückzuführen sind.

Es ging in dem Prozess letztlich nur um medizinische Definitionen: Die Amtsärztin führte aus, dass sie bei Iris R. die drei "Kernsymptome" einer PTBS feststellen konnte. Daneben listet die "Internationale Klassifikation der Krankheiten" eine Vielzahl weiterer möglicher Symptome auf, die auftreten können, für die sichere Diagnose der Belastungsstörung aber nicht vonnöten sind - für sie, so die Amtsärztin, seien diese "Nebensymptome" nicht erforderlich, um das "Vollbild" einer PTBS diagnostizieren zu können.

Da wollte dann auch der zweite Gutachter nicht mehr dagegen reden - vor allem wollte er nicht behaupten, dass die Diagnose seiner Kollegen falsch sei: "Das ist eher ein Definitionsstreit", denn die Kernsymptome hatte auch er erkannt. Der Vertreter des Freistaats sagte angesichts solcher Einigkeit nun zu, den Bescheid entsprechend abzuändern, und Iris R.s Anwältin erklärte daraufhin die Klage für erledigt. Die Klägerin selbst sagte nur noch, die Tränen mit Mühe zurückhaltend: "Ich würde mir wünschen, in einem solchen Fall nicht soweit gehen zu müssen." Im Streifendienst arbeitet die Polizeihauptmeisterin Iris R. mittlerweile nicht mehr, sie hat sich zur Kriminalpolizei versetzen lassen.

© SZ vom 06.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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