Bayreuth:Hinterlist nach amtlichem Ermessen

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"Folgenschwerer Formfehler" vom 9. Dezember:

Zum Beitrag über den Doktoranden und Feuerwehrmann in Bayreuth, dem die Ausländerbehörde wegen eines kürzlich entdeckten Formfehlers die Abschiebung androht, muss einiges ergänzt werden: Wenn Ludolf Tyll, der verantwortliche Jurist in der Stadtverwaltung, resümiert, diese hätte längst etwas gemacht, wenn sie helfen könnte, konterkariert seine Grundeinstellung. Diese tendiert klar zum Gegenteil: Wenn die Verwaltung etwas tun kann, um Ausländern eine Visa-Verlängerung zu blockieren, dann tut sie dies.

Eine wissenschaftliche Studie von 2016 mit mehr als 100 Interviews von Personen, die mit der Bayreuther Ausländerbehörde zu tun hatten (darunter viele Akademiker*innen aus Afrika) ergab, dass die Behörde im Gegensatz zu anderen Ausländerbehörden in Deutschland mögliche Ermessensspielräume sehr oft, möglicherweise systematisch genutzt hat, um Anträge abzulehnen oder zumindest zu verzögern.

Tylls Vorschlag, "einfach nach Nigeria ausreisen, die Familie besuchen ...", klingt zielführend, ist letztendlich hinterlistig: Er weiß selbst zu genau, dass die Beantragung eines Visums in Nigeria ungemein kompliziert ist, unkalkulierbar lange dauert oder gar scheitert, besonders auch wegen der aktuellen Pandemie-Auswirkungen. Jedenfalls kennt man solche Vorschläge: In der oben genannten Studie sind ähnliche Fälle dokumentiert, in denen zum Beispiel die Leiterin der Ausländerbehörde eine Master-Studentin (wegen eines nicht sofort angezeigten Fachwechsels in ein affines Studienfach, das sich nicht auf ihre Studiendauer ausgewirkt hat, ein klassischer Ermessensfall) mitten im Semester nach Hause geschickt hat. Abschiebung oder "einfach ein neues Visum beantragen", so hieß es auch damals.

Wenn nun der Behördenvertreter betont, "man sei nicht darauf aus, Ausländer zu ärgern", so ist dies - zynisch gesehen - richtig. Ärgern will sie ausländische Antragsteller*innen nicht, sondern durch Ermessensnichtgebrauch systematisch existenziell bedrohen. Entsprechende Praktiken in Bayreuth hat die SZ nicht zum ersten Mal angeprangert. Deshalb die Frage: Wann beginnt die Behörde zu verstehen, dass ein Ermessen juristisch keine Gnade ist? Sondern ein Recht, das Antragsteller*innen im Zweifelsfall für sich beanspruchen können?

Prof. Dr. Bernd Müller-Jacquier, Bayreuth

© SZ vom 16.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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