Bauland:Gegen ungebremstes Münchner Wachstum

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Verschneites Ackerland bei Daglfing am Dornacher Weg, nahe der Brücke über den Hüllgraben: Münchens Baulandreserven. (Foto: Florian Peljak)

Das Bündnis Nordost, ein neuer Zusammenschluss einzelner Bürger und Vereine, will die Großsiedlung zwischen Daglfing und Johanneskirchen verhindern. Dabei hat sich der Stadtrat bereits 2011 dafür entschieden

Von Renate Winkler-Schlang, Daglfing

Es war im Jahr 2011, als sich der Stadtrat für eine SEM, eine Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme, als Planungsinstrument für ein neues Großquartier im Nordosten Bogenhausens entschieden hat. Seit 2013 laufen die Voruntersuchungen. 2017, als die ersten städtischen Konzepte auf Kritik stießen, hat Stadtbaurätin Elisabeth Merk vorgeschlagen, einen städtebaulichen Ideenwettbewerb auszuschreiben. Dieser Tage sollten die Eckdaten für diesen Wettbewerb festgezurrt werden. Und jetzt formiert sich im Münchner Nordosten verstärkter Widerstand der Bürger: Das neue Bündnis Nord-Ost lädt für 21. Februar, 19 Uhr, zu einer Informationsveranstaltung über "Europas größtes Bauvorhaben" in die Neue Theaterfabrik an der Musenbergstraße 40. Die Aktiven verteilen derzeit Flyer an 40 000 Haushalte: Sie hoffen auf mindestens tausend Gäste. Und sie hätten gehofft, dass sich neben Stadt- und Landespolitikern auch Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) der Diskussion stellt. Doch das gewählte Stadtoberhaupt habe abgesagt, die Veranstaltung sei ihm nicht "neutral" genug, erklären die Organisatoren enttäuscht.

Warum tun sie sich erst jetzt zusammen? Markus Bichler ist einer der Sprecher des Bündnisses. Der 44-Jährige sagt über sich, er sei "schon von Geburt an ein Alt-Daglfinger". Das Projekt habe trotz der Workshops und von der Stadt initiierten Stammtische bisher bei den Nachbarn kaum Beachtung gefunden, meint er, vielleicht, weil anfangs "nur" von 10 000 Einwohnern die Rede war. Nun "aus dem Nichts" und "auf einmal" wolle die Stadt 30 000 Bürger plus 10 000 Arbeitsplätze dort unterbringen. Eine Stadt wie Erding. Und keiner wisse, wie das gehen soll.

Daher hätten sich viele Einzelbürger und bisher sieben Vereine von der Initiative Lebenswertes Daglfing über Gartenbauverein, Maibaumverein, Förderverein der Riemer Freiwilligen Feuerwehr bis zu den Trachtlern zusammengeschlossen - und weitere bekundeten Interesse. Das Ziel des Bündnisses formulieren Bichlers Mitstreiter Daniela Vogt und Andreas Hotschek, ebenfalls eingesessene Daglfinger: "Ein Dialog mit der Stadtspitze und eine intelligente Wachstumspolitik, die Lebensqualität, bezahlbaren Wohnraum, Verkehr und Infrastruktur unter einen Hut bringt."

Tief geht bei ihnen das Gefühl, dass sie der Stadt egal sind: "Wir wollen uns Gehör verschaffen. Dass einer merkt, dass wir da sind. Wir wollen mitreden."

Tief sitzt bei ihnen auch das Gefühl, dass "die Stadt" so manches verbockt habe. Sie verweisen etwa auf die Kita-Misere im Neubaugebiet Prinz-Eugen-Park. Auf Schulen, die viel zu spät gebaut wurden und schon bei Fertigstellung wieder zu klein waren. Auf das Gewerbegebiet Hüllgraben, geplant für kleine Handwerker, jetzt Standort von Amazon. Auf die Tram, die "ihren" Bus ersetzt hat: Jede Fahrt koste sie nun 20 Minuten mehr. Alles eher kleine Probleme, aber wie wolle die Stadt denn ein Großprojekt auf 600 Hektar stemmen, wenn sie all das nicht einmal in den Griff bekomme?

Es ist der Initiative wichtig, dass sie die Anlieger-Sicht vertritt, nicht die von Eigentümern. Auch von "Heimatboden", der Bewegung, die im Norden die andere SEM bekämpft hat, distanzieren sie sich. Wichtig ist ihnen schließlich, dass sie nicht als Totalverweigerer dastehen. "Wir sind für Wachstum", sagt Bichler. "Aber vernünftig", fügt er eindringlich an. Eine SEM brauche es dafür nicht. Der Hauptgrund für dieses Instrument sei doch das Einfrieren der Bodenpreise: "Und das funktioniert nicht", sagt Hotschek: Über eine GmbH könne ein Eigentümer eben doch auch jetzt seinen Grund verkaufen. "In Freiham geht es auch ohne SEM. Wir hinterfragen dieses Instrument."

Sie hinterfragen aber auch das ungebremste Münchner Wachstum. Warum schaffe man immer weiter Arbeitsplätze? Warum vertraue die Stadt Investoren? Warum baue sie nicht lieber selbst und vorzugsweise geförderte Wohnungen? Ein Knackpunkt ist für das Bündnis auch der Verkehr, dafür biete die Stadt kein Gesamtkonzept. "Die 30 000 kommen nicht alle mit dem Radl", sagt Markus Bichler.

© SZ vom 24.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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