Bahnhofsviertel:Zentrum für Tagelöhner hat eröffnet

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Beratungscafé mit Bullauge: In den neuen Räumen an der Sonnenstraße bekommen Arbeiter aus Südeuropa Unterstützung. (Foto: Stephan Rumpf)
  • An der Sonnenstraße hat das lange geforderte Beratungscafé für Tagelöhner eröffnet.
  • Es soll ein Treffpunkt für Menschen sein, die unter prekären Bedingungen arbeiten, vor allem die des Bahnhofsviertels.
  • Außerdem gibt es ein breites Angebot - beispielsweise Deutschkurse.

Von Thomas Anlauf

Nebenan kreischt eine Bohrmaschine, irgendwo hämmert jemand Nägel in eine Wand. Doch der Mann auf dem Sofa schläft, vor Erschöpfung. "Er war die ganze Nacht auf den Beinen", sagt Savas Tetik. "Hier kann er sich jetzt ein paar Stunden ausruhen." Tetik steht vor dem abgedunkelten Ruheraum und blickt durch das große Bullauge in der Tür nach seinem Klienten. Der Mann mit dem grau melierten Vollbart ist umringt von Männern, die meisten kennen Tetik schon seit Jahren.

Er ist für die Männer das freundliche Gesicht des Bahnhofsviertels. Regelmäßig schauen er und seine Kollegen von der Arbeiterwohlfahrt nach ihnen am Treffpunkt in der Landwehrstraße. Dort, wo täglich Dutzende auf einen Job mit Hungerlohn hoffen. Seit wenigen Tagen kommen die meist aus Bulgarien und Rumänien stammenden Männer auch zu ihm: An der Sonnenstraße 12 hat im ersten Stock das lange geforderte Beratungscafé für die Tagelöhner vom Bahnhofsviertel eröffnet.

Mehr als ein Jahr lang hatten Mitarbeiter der Arbeiterwohlfahrt (Awo) und des Sozialreferats geeignete Räume für ein Beratungscafé gesucht, in denen sich die Arbeiter tagsüber aufhalten können. Zwei Mal wurden Räume gefunden, doch jedes Mal machten die Vermieter kurz vor Vertragsunterzeichnung überraschend einen Rückzieher. "Wir können nur vermuten, warum", sagt Awo-Geschäftsführer Christoph Frey. Stadt und Sozialverband hätten stets mit offenen Karten gespielt. Aber weder der Vermieter der Räume an der Schillerstraße 37, noch der an der Paul-Heyse-Straße 27-29 wollten offenbar ärmlich gekleidete Tagelöhner in ihren Häusern ein- und ausgehen sehen.

Wo die Initiative untergekommen ist

Die Immobilie an der Sonnenstraße hingegen, wo das Beratungscafé seit 5. Oktober untergekommen ist, scheint ein Glücksgriff zu sein. Denn hier können nicht nur Tetik und seine Kollegen die Männer und Frauen aus Südeuropa in Ruhe beraten, auf 700 Quadratmetern Fläche könnte ein regelrechtes Zentrum für Migration entstehen.

In mehr als einem Dutzend Räumen kommt auch das Integrationskurs-Modellprojekt "Sozialpädagogische Begleitung bildungsferner EU-Zuwanderer in prekären Lebenslagen" der Initiativ-Gruppe (IG) und der Münchner Volkshochschule (MVHS) unter, außerdem die Beratungsstelle für Flüchtlinge aus dem Resettlement-Programm und anderen humanitären Projekten der IG, der Verein "Lichterkette" sowie das "Münchner Netzwerk für Migrantenorganisationen" (Morgen), dem 50 Organisationen angehören.

Drei Monate lang dauerte die Sanierung der Räume, deren Kosten von der Stadt "zu einem nicht unerheblichen Teil übernommen" worden sind, wie Manfred Bosl, Vorsitzender der Initiativ-Gruppe, betont. Er ist überzeugt davon, dass sich in den neuen Räumen eine besondere "Willkommens- und Förderkultur" entwickeln wird". Denn es wird hier Angebote für verschiedene soziale Schichten und Kulturkreise geben.

Savas Tetik von der Arbeiterwohlfahrt ist einer der Helfer. (Foto: Stephan Rumpf)

Welche Angebote es gibt

Die Tagelöhner vom Bahnhofsviertel etwa bekommen hier kostenlose Deutschkurse und Hilfe, um Jobs auf dem regulären Arbeitsmarkt zu finden. "Wir schreiben mit ihnen auch Lebensläufe", sagt Tetik. Ohne die bekommt keiner der Männer Arbeit jenseits des illegalen Arbeitsmarkts, in dem die Menschen unter prekären Bedingungen schuften. An fünf Computern können die Arbeitssuchenden nun kostenlos nach Jobs oder sogar nach einer Unterkunft suchen, auch kostenlos telefonieren können sie von hier aus.

Von der nahegelegenen Beratungsstelle "Schiller 25" erhalten die Männer und Frauen im Notfall auch eine Postadresse, die einige Arbeitgeber in München bei der Anstellung akzeptieren. Aber das vielleicht Wichtigste für die Arbeiter ist, dass sie nun einen Treffpunkt haben, an dem sie sich in Ruhe miteinander austauschen können. "Sie wollen ja nicht den ganzen Tag rumsitzen oder draußen in der Kälte stehen: Sie wollen ja arbeiten", sagt Tetik.

Um aber auf Dauer einen Job mit Perspektive zu finden müssen sie Deutsch lernen. Finanziert werden die Sprachkurse der Initiativ-Gruppe vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Sie richten sich explizit an bildungsferne Menschen in prekären Lebenslagen. Derzeit nehmen 45 Personen an den Kursen teil, mehr als die Hälfte stammt aus Bulgarien, außerdem sind Griechen und Rumänen dabei.

Vor welchen Problemen die Menschen stehen

So wie die junge Frau, die am Donnerstag plötzlich aufgebracht vor Savas Tetik steht. Sie lebt mit ihrer 14-jährigen Tochter in München. Sie arbeitet als Reinigungskraft bei einer türkischen Firma, 880 Euro bekommt sie pro Monat - normalerweise. Doch seit zwei Monaten hat sie keinen Lohn erhalten, nun will sie sich wehren. Doch sie kann weder lesen noch schreiben.

Solche Probleme kennt Savas Tetik zur Genüge, sie gehören fast zum Alltag. "Die Leute kommen mit ihren Problemen zu uns, weil sie uns kennen", sagt er. Manchmal reicht schon ein Telefonat, um das Problem zu lösen. Ansonsten können die Berater wie Tetik auch in kürzester Zeit Kontakte zu den richtigen Ansprechpartnern herstellen, die dann im Beratungscafé vorbeikommen und helfen.

Vorbeikommen wollen in nächster Zeit auch einige Geschäftsleute aus dem Bahnhofsviertel. Ein Unternehmer hat bereits versprochen, für die Tagelöhner, die nun endlich einen Treffpunkt im Warmen haben, ein üppiges Frühstück zu spendieren. Natürlich freuen sich die Geschäftsleute, dass die Männer vielleicht bald nicht mehr zu Dutzenden von morgens bis abends vor den Geschäften auf Arbeit warten. Michael Grill, Geschäftsführer der Theatergemeinde an der Ecke Goethe- und Landwehrstraße, ist zumindest "hocherfreut, dass die Menschen nun endlich ein Zentrum haben". Und vielleicht auch bald reguläre Arbeit: 360 Menschen hat Tetik schon zu festen Jobs verholfen - von der Straße weg.

© SZ vom 16.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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