Ausstellung:Kunstscheiß oder Zeitgeist?

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Die Ausstellung "Pop, Punk, Politik" serviert Erinnerungen aus dem München der Achtzigerjahre. Dabei ist es erstaunlich, wer heute als großer Deuter dieses Jahrzehnts gilt

Von Franz Kotteder

Vorher muss mas wissen, weil nachher weiß es a jeder", sprach der berühmte Wiener Fußballer und Trainer Ernst Happel einst. Ein bisschen drängt sich dieses Zitat immer wieder auf, wenn man als Zeitzeuge eine Ausstellung betritt über Geschehnisse und Dinge, die man selbst miterlebt hat. Zwangsläufig wird einem dann vieles fehlen, was doch so unheimlich wichtig gewesen ist, damals, für einen selbst. Und staunend steht man dann vor den Einschätzungen von Leuten, die damals keine Rolle spielten (für einen selbst), heute aber als die großen Deuter jener Zeit gelten.

Keine Frage, das ist auch bei "Pop, Punk, Politik" so. Die Ausstellung in der Monacensia, dem städtischen Literaturarchiv, soll die 1980er-Jahre in München erzählen. Natürlich wäre sie damit heillos überfordert, auf den paar Quadratmetern, die ihr zur Verfügung stehen und die vielleicht einer größeren Vierzimmerwohnung entsprechen. Kurator Ralf Homann hat sich deshalb "der jungen, vielfältigen Textproduktion" im München jener Tage angenommen. "Text, Medium, Botschaft und Haltung sind hier aufs Engste verwoben", sagt er. Man darf sich also nicht erwarten, dass nun im Hildebrandhaus an der Maria-Theresia-Straße, wo die Monacensia residiert, ständig Jugenderinnerungen getriggert werden.

Das künstlerische Programm setzte mit voller Absicht aufs Nicht-Gekonnte

Obwohl: Das schon auch. Das beginnt schon mit der Gestaltung, die sich bewusst an die Fanzine- und Schülerzeitungsästhetik der Achtzigerjahre anlehnt. Das Flugblatt war schließlich das Twitter jener Jahre. Man sieht den Berliner "Tunix"-Kongress von 1978, der als Geburtsstunde der Alternativbewegung gilt und als "Begründung der Projektemacherei", so die taz. Zeitgeistblätter wie Tempo und Wiener erinnern an den neu erwachenden Hedonismus, und natürlich darf das berühmte Falco-Zitat von den Achtzigerjahren, die man nicht erlebt hat, wenn man sich an sie erinnern kann, nicht fehlen. Die Popper tauchen auf, in jener Zeit die Reiche-Schnösel-Version von Teenagern. Schließlich dann die englische Punkband Notsensibles mit ihrem sarkastischen Szenehit "I'm In Love With Maggie Thatcher", und die Hausbesetzerbewegung mit Ausschnitten aus dem Film "Züri brännt", der Anfang der Achtziger in allen autonomen Jugendzentren rauf und runter lief, falls ihn die Polizei nicht mit fadenscheinigen Begründungen beschlagnahmte. Das alles orientiert sich gestalterisch an einem Jugendzimmer aus jener Zeit: alles irgendwie locker an die Wand geheftet.

Die Ausstellung "Pop-Punk-Politik" in der Monacensia erzählt von den Achtzigerjahren in München. (Foto: Volker Derlath)

Das hat durchaus seinen Charme, man musste schließlich auch "Mut zur Lücke", so Sylvia Schütz von der Monacensia, beweisen, angesichts der Raumlage. Es gibt also Häppchen: Rainald Goetz schlitzt sich 1983 beim Bachmannpreis die Stirn mit einer Rasierklinge auf, in Burglengenfeld findet 1986 ein riesiges Rockfestival gegen die WAA in Wackersdorf mit 100 000 Zuschauern statt, und Nicole trällert sich 1982 mit "Ein bisschen Frieden" auf den ersten Platz des Eurovision Song Contests.

Alles Schlaglichter auf ein merkwürdiges Jahrzehnt, ergänzt um viel Literarisches von Thomas Palzer, Lorenz Schröter, Maxim Biller, Herbert Achternbusch und Thomas Meinecke, aber auch von Luisa Franca, Mona Winter und Lillemor's Frauenbuchladen. Nicht zuletzt dann die tragische Performancekünstlerin Rabe Perplexum oder die "küssenden Fernseher", mit denen der Münchner Theateranarchist Alexeij Sagerer auf der documenta 8 vertreten war. Dazu die Musik von FSK, der Freiwilligen Selbstkontrolle.

Fanzines waren in den Achtzigern ein beliebtes Medium, quasi das Twitter dieser Zeit. (Foto: Frank Schubert)

Alles naheliegend für die Kultur der Achtziger, keine Frage. Aber, um es mal im Jargon dieser Zeit sagen: Damals war das für die Pop-, Punk- und Politikszene weitestgehend Kunstscheiße und hat mit wenigen Ausnahmen keinen Schwanz interessiert (die Punkbewegung war eine überwiegend machohaft-männliche, auch wenn sie sich vordergründig anders gab). Politisch war Bayern damals eine illiberale Demokratie. Man muss sich nur mal ein paar Reden von Franz Josef Strauß anhören, dann friert es einen sofort. Und man wundert sich, dass einem das damals gar nicht so aufgefallen ist. Aber man war ja in München auch den scharfen Hund Peter Gauweiler als Kreisverwaltungsreferenten gewohnt, der gern einmal die Hosenträger schnalzen ließ. Bildlich gesprochen.

Dagegen half sogenanntes "Abtanzen" in Discos wie dem Lipstick, dem Tanzcafé Größenwahn oder einer Szeneinstitution, die man heute bestenfalls noch "N-Wort-Halle" nennen dürfte. Das künstlerische Programm aber setzte mit voller Absicht aufs Nicht-Gekonnte; eine sehr viel später stattfindende Ausstellung im Haus der Kunst nannte sich nicht grundlos "Geniale Dilletanten" (mit Absicht falsch geschrieben, versteht sich), eine andere in der Kunsthalle Düsseldorf "Verschwende Deine Jugend".

Punks auf den Plätzen von München sind heute keine Seltenheit. (Foto: Rainer Schwinge)

Auch dafür hätte es viele Beispiele in München gegeben. Man hätte da an den Literaten Michael Sailer denken können, der auch die Punkbands Tollwut und Marionetz mitgegründet hat, unter anderem. Oder auch Oli Nauerz von den Einstürzenden Musikantenstadl und seinem immer noch existierenden Fanzine Gaudiblatt. Oder die heute weithin unbekannte Band Ogul Nix, die immerhin ein wüstes Album mit dem beinahe lyrischen Titel "Großlappen" herausgebracht hat.

Andeutungsweise kommt das in der Monacensia zumindest im so betitelten "Do it Yourself"- Raum zwar schon vor. Deutlich mehr Wert legt man aber auf die kunstsoziologische Nachwirkung der Zeit, oder um mit den Machern zu reden: "Die Ausstellung skizziert ästhetische Verfahrensweisen der Subkultur für eine heutige Debatte über Emanzipation und die Verwegenheit der Revolte." Keine Frage, natürlich kann man die Sache durchaus so angehen. Ob man dem Wesen dieses Jahrzehnts dadurch näher kommt, kann man allerdings auch bezweifeln.

Die Szene, die in der Ausstellung hauptsächlich beschrieben wird, hat es wahrscheinlich tatsächlich vorher gewusst, im Sinne Happels. Für die Wirklichkeit einer breiteren Öffentlichkeit aber war diese Szene nicht sehr prägend, sofern sie überhaupt wahrgenommen wurde. Da stellt sich schon auch die Frage: Was nützt es eigentlich genau, wenn mas vorher weiß?

Pop, Punk, Politik - Die 1980er Jahre in München, Monacensia im Hildebrandhaus, Maria-Theresia-Str. 23, bis 31. Januar

© SZ vom 09.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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