Auf den Spuren der Titanic:Dem Wrack ganz nah

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Elf Stunden lang ohne Heizung und Klo: Brigitte Saar tauchte in einer Kapsel 3800 Meter hinunter zum Wrack der Titanic und erfüllte sich damit einen Lebenstraum. Wie die Münchnerin die Tragödie des Untergangs verstand - und den peinlichsten Moment ihres Lebens hatte.

Franz Kotteder

"Die anderen hier kennen mich schon als die Titanic-Tante", sagt Brigitte Saar und bittet in ihr Büro. Die anderen, das sind die Kollegen im ZDF-Landesstudio Bayern in Unterföhring, wo Saar als Redakteurin arbeitet. In diesen Tagen bekommt sie öfters Besuch. Denn sie ist eine der wenigen Frauen, die das Wrack der Titanic von ganz nahe gesehen hat. Sie ist überhaupt die einzige Münchnerin, die einmal dort unten gewesen ist, in 3800 Metern Tiefe. Am 14. April ist der 100. Jahrestag der wohl berühmtesten Schiffskatastrophe, und so ist es kein Wunder, dass Saar derzeit eine gefragte Gesprächspartnerin ist.

Die Tauchfahrt zum Titanic-Wrack war "der Höhepunkt" ihres Lebens, sagt Brigitte Saar. (Foto: Robert Haas)

Die hübsche 37-Jährige mit dem bunten U-Boot-Anhänger an der Halskette, geboren und aufgewachsen in Haidhausen und in der Au, war schon als Mädchen fasziniert von der Geschichte des Passagierdampfers. Mit 13 las sie ein Buch über den Untergang und war danach fast enttäuscht, als sie feststellte, dass es sich dabei um eine wahre Geschichte handelte.

Das Interesse wuchs sich zur Leidenschaft aus, und als das Wissenschaftsmagazin "Welt der Wunder" auf Pro Sieben 1998 eine Tauchfahrt zum Wrack der Titanic verloste, drängte ihr Freund sie dazu, sich zu bewerben. "Ich wollte erst gar nicht", sagt Saar, "ich dachte: Das ist doch eh ein abgekartetes Spiel, wo irgendein entfernter Verwandter des Chefredakteurs gewinnt oder so." Es gewann aber von den 55 000 Einsendern ausgerechnet Brigitte Saar.

Und so fuhr sie also am 9. September 1998 mit der Tauchkapsel "Mir-2" in die Tiefe. Es war ein russisches Forschungsschiff, das zum Ort des Untergangs fuhr, das früher auch militärische Expeditionen machte. "Es gab da auch eine ehemalige Abhörstation des KGB", erzählt Brigitte Saar, "die war jetzt das Kommunikationszentrum des Schiffs."

Elf Stunden auf engstem Raum

Die Tauchkapsel mit einem Durchmesser von zwei Metern bot gerade einmal Platz für drei Leute, war vollgestopft mit allerlei Instrumenten, und es gab drei Fenster. Acht Stunden, hieß es, sollte sie sich darin aufhalten. Es wurden elf Stunden daraus: "Das Dumme war", sagt Saar, "es gab natürlich keine Heizung und kein Klo. Das führte letztlich zum peinlichsten Moment meines Lebens in 3000 Metern Tiefe."

Elf Stunden auf engstem Raum - allein diese Vorstellung kann einem den Angstschweiß auf die Stirn treiben. Brigitte Saar aber sagt, sie habe ja unfreiwillig üben können, da sie zwei Wochen vorher in Köln in einem ziemlich engen Aufzug steckengeblieben sei. Und dann sei der russische Pilot der Kapsel die Ruhe in Person gewesen, er sei ja vor der Fahrt mit ihr schon 35-mal dort unten am Wrack gewesen.

Zweieinhalb Stunden dauere der Abstieg, "und dann sieht man erst einmal nur ein paar verbogene Metallteile im Schweinwerferlicht". Eigentlich herrscht dort unten völlige Dunkelheit, durch die starken Scheinwerfer sehe man aber zehn Meter weit. Erst war da die riesige Stahlwand. "Dann erkennt man an der Form der Bullaugen, wo man in etwa ist, dann kommt man dahin, wo die Rettungsboote waren, und man sieht das Promenadendeck."

Die ganze Tragödie des Untergangs aber habe sie erst richtig begriffen, als der russische Kapselpilot sagte: "Look! Captain's bathtub!", und sie tatsächlich die Badewanne des Kapitäns im Scheinwerferlicht sah. "Wenn man so einen Gegenstand sieht, den man selbst ja auch immer wieder benutzt, rückt die Katastrophe und damit die Verbindung zum eigenen Leben näher. Die Wanne hat mich mehr beeindruckt als der berühmte Bug."

Fünf Stunden verbrachten sie damit, das riesige Wrack aus der Nähe zu besichtigen. Und als sie nach elf Stunden wieder auftauchten, sei ihr zum Heulen gewesen, sagt Brigitte Saar: "Weil ich mir dachte, jetzt bist du Mitte 20 und hast den Höhepunkt deines Lebens schon hinter dir."

Darüber kann sie heute schon auch lachen, aber natürlich hat der Tiefseetauchgang schon einiges verändert in ihrem Leben. In der Gemeinde der Titanic-Fans gilt sie etwas, klar, und unter Gleichgesinnten findet man ja immer schnell Freunde und Bekannte. Später hat sie dann auch ihre Magisterarbeit über das Wrack geschrieben, im Fach Amerikanische Kulturgeschichte, obwohl es einiger Anstrengung bedurfte, den Professor davon zu überzeugen. Schließlich war die Titanic ja ein britisches Schiff gewesen.

Brigitte Saar ist dann noch einmal am Ort des Untergangs gewesen, aber nicht noch einmal hinuntergetaucht. Ein Panoramafoto von dieser Fahrt hängt hinter ihrem Schreibtisch in Unterföhring. Ganz so aufregend ist ihr Alltag sonst natürlich nicht: "Wir sind hier die Eingreiftruppe fürs Aktuelle", sagt sie, "wir berichten vom Kraillinger Mordprozess und von der Spielwarenmesse bis hin zum Luft- und Raumfahrtstandort der ESA in Oberpfaffenhofen." Über die neue Tiefsee-Ausstellung im Lokschuppen Rosenheim hat aber eine Kollegin berichtet. Denn sie selbst hat ja ein Exponat zur Schau beigesteuert: einen zerknautschten Styroporbecher, der von ihrer zweiten Fahrt zur Titanic übriggeblieben ist.

© SZ vom 03.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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