Als Suli Kurban ein Mädchen war, stand sie jede Woche am Zaun und hat auf die Frauen gewartet, die zum Malen kamen. Was Sinn und Zweck dieser Malaktionen war, hat sie damals nicht verstanden, sie war ja erst elf Jahre alt. Trotzdem ist der Uigurin mit den glänzenden schwarzen Haaren, die vor 16 Jahren nach München geflohen ist, bis heute eines im Gedächtnis geblieben: "Die hatten bunte Stifte dabei und viel Papier und haben auch keine komischen Fragen gestellt."
Heute ist Kurban 27 Jahre alt, moderiert souverän eine Eröffnungsfeier mit Stadträten im Publikum, und natürlich weiß sie längst, was das für Frauen waren, die über Jahre hinweg im Asylbewerberheim mit ihr gemalt haben. Es waren Mitarbeiterinnen der 1993 gegründeten Kunstwerkstatt von Refugio, an deren kunsttherapeutischen Angeboten zu bildender Kunst, Fotografie, Musik oder auch Tanz heute etwa 500 Flüchtlingskinder und jugendliche Flüchtlinge teilnehmen. Bislang hielten die Pädagogen und Künstler ihre Kurse überwiegend in den Erstaufnahmeeinrichtungen ab. Doch jetzt wurden die neuen Räume der Refugio Kunstwerkstatt eingeweiht - die Fläche misst 220 Quadratmeter und befindet sich im dritten Obergeschoss des Seniorenwohnheims St. Josef am Luise-Kiesselbach-Platz. Da könnten sich "charmante Kooperationen" ergeben, sagte Jürgen Soyer eingangs, der Geschäftsführer von Refugio. Dass das Münchenstift dem Beratungs- und Behandlungszentrum für Flüchtlinge die Fläche angeboten habe, nannte er einen "Himmelruf", denn gerade für Jugendliche fehlte es an Platz.
Später, als die Gäste die neuen Kreativfläche besichtigen, spricht Margit Papamokos, die Leiterin der Kunstwerkstatt, von einer "vorsichtigen Annäherung" zwischen Jung und Alt, die jugendlichen Flüchtlinge und Senioren sollen zunächst in kleinen Gruppen zum Malen, Singen oder einfach nur zum Erzählen zusammen kommen. Es gebe aber auch Überlegungen, den Jugendlichen Praktika am Stift zu vermitteln oder sogar Ausbildungsplätze.
Unterdessen testet Michael Piehler das Mischpult im neuen Musikraum. Als er an einem Regler dreht, schlägt auf dem Bildschirm eine grüne Linie aus. Der 23 Jahre alte Münchner ist Mitglied der Musikgruppe Poetricks, die eben noch auf der Bühne gezeigt hat, wie gut sich deutsche und kurdische Texte im Rap kombinieren lassen. Von einer strikten Unterteilung in Musikgenres hält er wenig, gemischt wird, was gefällt - und auch unter den Musikern spiele die Herkunft keine Rolle, sagt Piehler. "Wir glänzen durch Vielseitigkeit."
Auch die jungen Männer auf den Fotografien an den Wänden kommen aus unterschiedlichen Ländern. Wie ein Baby hält ein 16 Jahre alter Nigerianer eine Deutschlandflagge im Arm. Deutschland, der Sehnsuchtsort. Plakativer geht es kaum. "Er wollte das aber so", sagt Verena Wilkesmann, die das Fotoprojekt geleitet hat. Die Pädagogin stellt Unterschiedliches fest, wenn sie mit den jungen Flüchtlingen malt oder fotografiert. Manche näherten sich der Kunst zögerlich, andere wiederum hätten noch nie einen Pinsel in der Hand gehalten und gingen trotzdem ganz selbstverständlich damit um. Immer wieder beobachtet sie dabei, wie gut die künstlerische Tätigkeit den traumatisierten Flüchtlingen tut, die Jugendlichen setzten sich dabei mit sich selbst auseinander. Wenn die Refugio-Mitarbeiterin mit ihrer Fotogruppe durch die Stadt zieht, sucht sie gerne Orte auf, an denen viele Touristen anzutreffen sind, zum Beispiel den Botanischen Garten. "Dort sind sie dann plötzlich keine Flüchtlinge mehr", sagt Wilkesmann. Und mit der Kamera in der Hand käme man überdies schnell mit anderen Leuten in Kontakt.
Für Suli Kurban war die Kunstwerkstatt ein Ort der Ruhe, an dem man die Sorgen um den in der Heimat zurückgebliebenen Vater für einen Moment vergessen konnte. "Die Tür war zu, und wir hatten einen Raum für uns", sagt sie. Als sie einmal ihr Traumhaus mal soll, zeigt ihr Bild einen gepflegten Garten mit einem Schwimmbecken. Aber auch einen Turm mit einer Hexe. Man habe ihr damals erklärt, der Garten symbolisiere die westliche Welt - doch wofür das eingesperrte Böse stand, das will ihr nicht mehr einfallen. Und das ist vielleicht auch besser so.