Architektur:"Wir sind kein Haus der Millionäre"

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Das Neuperlacher Georg-Brauchle-Haus wird 50 Jahre alt und ist bis heute seinem Anspruch treu geblieben. Das Altenwohnstift mit seinem Pflegedienst ist nicht billig, lässt seinen Bewohnern aber individuelle Freiräume

Von Patrick Stäbler

Was haben die Nachbarn von Helga Menzl nicht geunkt, als sie 2017 ins Georg-Brauchle-Haus eingezogen ist - kurz nach dem Tod ihres Ehemanns. "Was will denn eine wie du in einem Heim, haben sie mich gefragt", erzählt die heute 85-Jährige. "Und wie ich nur aus unserem schönen Haus ausziehen kann." Doch Helga Menzl ließ die Nachbarn reden - für sie war klar: "Ich bleibe nicht allein in unserem Haus. Ich bin ein Gesellschaftsmensch, der Ansprache braucht. Einsamkeit ist für mich das Schlimmste." Ob sie ihre Entscheidung seither bereut habe? "Überhaupt nicht!", schießt es aus Helga Menzl hervor, ehe ihre Mundwinkel nach oben wandern. "Ich habe erst kürzlich eine Nachbarin getroffen, und wissen Sie, was die zu mir gesagt hat? Die hat gesagt: Frau Menzl, Sie schauen immer so fröhlich und lächeln so viel. Da sieht man sofort, dass es Ihnen gut geht."

Nun würde und könnte Helga Menzl gerne noch weiter erzählen von ihrem Leben im Wohnstift Georg-Brauchle-Haus des Kuratoriums Wohnen im Alter (KWA). Doch gleich gibt's Mittagessen, und das will sie - so wie jeden Tag - mit ihren Freundinnen einnehmen. Am Vormittag ist die rüstige Seniorin, die locker als 65-Jährige durchgehen würde, im hauseigenen Bad schwimmen gewesen; nach dem Mittagsschlaf wird sie sich wohl in den Clubraum begeben - zum Lesen, zum Spielen, zum Plaudern. "Ich habe hier Freundinnen gefunden", sagt sie. Mit ihnen fährt sie in Urlaub und ist bei hauseigenen Veranstaltungen dabei. Und natürlich werden sich die Frauen auch das große Fest am Donnerstag nicht entgehen lassen, wenn das Georg-Brauchle-Haus seinen 50. Geburtstag feiert.

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(Foto: KWA/oh)

Den Ehrenpreis der Stadt für guten Wohnungsbau erhielt das 1969 eröffnete Georg-Brauchle-Haus bald nach dem Start.

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(Foto: KWA/oh)

Von Anfang an gab es viele Annehmlichkeiten, wie die Kegelbahn...

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(Foto: KWA/oh)

...und den Andachtsraum.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Irene und Herbert Bohrer wohnen ebenso gern im Haus...

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(Foto: Stephan Rumpf)

...wie Helga Menzl.

Wer Helga Menzl auch nur wenige Minuten erlebt, wie sie leichten Schrittes den Raum betritt, wie sie mit ihren flinken Gedanken jedes Gespräch bereichert - der bringt diese Frau nur schwerlich mit jenem Klischee zusammen, das viele Menschen heute noch vom Leben im Seniorenwohnheim haben. So überholt diese Vorstellungen inzwischen sind, so zutreffend waren sie vielerorts, als das Georg-Brauchle-Haus vor 50 Jahren eröffnet wurde. "Der Standard waren damals Schlafsäle mit zehn bis fünfzehn Betten, dazu Bad und Toiletten auf dem Gang", sagt KWA-Vorstandsmitglied Stefan Arend. "Solche Häuser glichen oftmals Verwahranstalten." Doch genau damit mochte sich eine Gruppe von sieben Münchnern nicht anfreunden, weshalb sie in den 1960er-Jahren einen Verein gründeten und als erstes Projekt ein Altenwohnstift in Neuperlach planten. "Diese Männer wollten damals eine zeitgemäße Antwort auf die Frage geben, wie wir mit älteren Menschen umgehen", sagt Stefan Arend.

Diese Antwort war das Georg-Brauchle-Haus, das 1969 eröffnet wurde und kurz darauf den Ehrenpreis der Stadt München für guten Wohnungsbau erhielt. Jede Wohnung hatte ein eigenes Bad, Küche und Telefon - "das war damals eine Sensation", so Arend. Dem Konzept, dass die Senioren ihre Wohnung individuell gestalten können, ist man treu geblieben. "Und für uns war das ein wichtiger Grund, weshalb wir hier eingezogen sind", sagt Irene Bohrer. Die 79-Jährige steht im gelb gestrichenen Flur ihrer Wohnung im sechsten Stock des 2010 eröffneten Anbaus. Dort oben wohnen Irene Bohrer und ihr Ehemann Herbert seit gut eineinhalb Jahren, und auch sie betonen: "Wir habe es nicht ein einziges Mal bereut, dass wir hierher gezogen sind."

Wie Helga Menzl ist auch das Ehepaar Bohrer mit einer erstaunlichen geistigen und körperlichen Verfassung gesegnet - was freilich nicht auf alle 244 Hausbewohner zutrifft. Rund die Hälfte sei pflegebedürftig, sagt Stiftsdirektorin Petra Werle, der Altersschnitt liege bei 84 Jahren. Davon sind die Bohrers noch etwas entfernt, und doch wollten sie in das Altenstift ziehen, "solange wir unsere Wohnung dort noch so einrichten können, wie wir es wollen", sagt der 81-Jährige. Seiner Frau und ihm sei zudem wichtig gewesen, "dass wir im Ernstfall alles vor Ort haben". Will heißen: Es gibt einen hauseigenen Pflegedienst, eine 24-Stunden-Notrufbereitschaft und weitere Betreuungsangebote; dazu kommen die Annehmlichkeiten des Hauses - vom Schwimmbad bis zur Sauna, vom Zahnarzt bis zum Physiotherapeuten, vom Friseur bis zu den Veranstaltungen.

All das habe seinen Preis, sagt Herbert Bohrer. "Man muss den Geldbeutel aufmachen, doch dafür bekommt man auch etwas." Für ein Apartment auf 24 Quadratmetern im Altbau berechnet das KWA einen sogenannten Pensionspreis von 1567 Euro im Monat; eine 43 Quadratmeter große 1,5-Zimmer-Wohnung im Neubau schlägt mit 2459 Euro zu Buche. Enthalten sind alle Nebenkosten sowie eine Reihe von Serviceleistungen wie eine wöchentliche Reinigung und ein tägliches Mittagessen. "Unsere Wohnstifte haben einen gewissen Anspruch", sagt Vorstandsmitglied Arend. "Aber wir sind kein Haus der Millionäre."

Für Helga Menzl ist das Georg-Brauchle-Haus "der Ort, an dem ich sterben will". Das sagt sie ganz offen, zuvor aber möchte die 85-Jährige ihr Leben noch genießen - und das wäre in ihrem alten Haus nicht möglich gewesen: "Das ist ja hier ganz in der Nähe", sagt Helga Menzl. "Doch wenn ich heute an unserem Haus vorbeigehe, habe ich überhaupt kein Herzklopfen."

© SZ vom 09.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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