Architektur:Das Neue im Alten

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Mit Neubauten in der Innenstadt hat sich München schon immer schwer getan. Modern oder konservativ - auch Experten haben völlig unterschiedliche Ansichten

Protokolle von Alfred Dürr und Wolfgang Görl

Neu bauen in der historischen Altstadt - wann immer diese Frage in München akut wird, wird sie erregt debattiert. So auch jetzt im Fall des Fina-Parkhauses an der Neuturmstraße. Das wird abgerissen, um einem Erweiterungsbau des Hotels Mandarin Oriental zu weichen. Verwirklicht wird der Entwurf des Münchner Büros Hild und K, den viele als allzu angepasst, bieder, vielleicht sogar langweilig beurteilen. Insbesondere im Vergleich mit dem eigentlichen Siegerentwurf des Architektenwettbewerbs. Doch die Pläne des Büros Nieto Sobejano Arquitectos aus Madrid scheiterten an der Stadtgestaltungskommission, die fürchtete, damit würde das geschlossene Bild der Altstadt gefährdet. Ist München zu feige oder ist es gut, bei Architekturfragen konservativ zu sein? Eine Umfrage unter Fachleuten.

"Am falschen Ort"

Gert Goergens, Stadtheimatpfleger: "Bei dem Erweiterungsbau zum Hotel Mandarin Oriental handelt es sich um einen besonders sensiblen Bereich im denkmalgeschützten Altstadtensemble mit seinen engen Gassen und einer hohen Denkmaldichte. Welch eine seltene Chance ergibt sich durch den Wegfall des Fina-Parkhauses! Aus meiner Sicht als Heimatpfleger ist das ein Präzedenzfall: Hier steht der Ensembleschutz auf dem Prüfstand. Das Hotel wirbt mit seiner einmaligen Adresse sowie dem Blick über die historische Dachlandschaft Münchens. Der Entwurf von Nieto Sobejano setzt ein eigenwilliges Ausrufezeichen, sprengt aber gerade an dieser Stelle mit seiner typologisch fremden Volumetrie, der überragenden Höhenentwicklung mit mehr als 30 Metern bei acht Vollgeschossen, seinen mehrfach gestaffelten Terrassengeschossen und der horizontal geschichteten Systemfassade den historisch geprägten Charakter des Altstadtensembles. Ein exzeptioneller Beitrag zeitgenössischer Architektur, aber leider am falschen Ort.

Die Münchner Altstadt, von der Terrasse des Mandarin Oriental aus fotografiert. Wie viel moderne Architektur verträgt das historische Ensemble? (Foto: Stephan Rumpf)

Den Entwurf von Hild und K prägt wohltuende Zurückhaltung: Durch die Aufnahme von Bezügen zur denkmalgeschützten Nachbarschaft - zum Beispiel Traufhöhen, Firsthöhen und geneigten Dachflächen - gelingt ein ausgeprägter Dialog mit dem jeweils denkmalgeschützten Gegenüber. So entstehen sensibel gefasste, wohlproportionierte neue Stadt- und Platzräume mit hoher Qualität. Die mineralischen Fassaden interpretieren den historischen Rhythmus zeitgemäß neu und durchaus eigenständig. Der Bauherr verdient Anerkennung für den Verzicht auf den spektakulären Auftritt zugunsten nobler Rücksichtnahme auf unser wunderbares Altstadtensemble."

"Eine vertane Chance"

Ludwig Wappner, Architekt vom Münchner Büro Allmann Sattler Wappner: "Der Entwurf von Nieto Sobejano Architectos ist gute Architektur, die aber leider nicht das Fina-Parkhaus ersetzen wird. Das ist ewig schade und eine vertane Chance. Ich finde das Verfahren, das dazu geführt hat, dass schließlich der Entwurf meines sehr geschätzten Kollegen Andreas Hild präsentiert wurde, seltsam. Das Preisgericht hatte mit einer deutlichen Mehrheit von 17 zu vier Stimmen Nieto Sobejano als Sieger gekürt. Klarer hätte das Votum nicht ausfallen können. Dann hat man dieses Projekt lange Zeit nicht der Öffentlichkeit präsentiert, weil man offensichtlich Sorge hatte, eine riesige Debatte vom Zaun zu brechen.

Ich finde, das Sobejano-Gebäude hätte gut an diese Stelle gepasst. Die Altstadt wird doch nicht zerstört, wenn man sich für diesen Entwurf entscheidet. Wir müssen uns grundsätzlich fragen, wie sich die Stadt verändert und weiterentwickelt. München lebt auch durch seine bauliche Vielfalt. Allerdings erleben wir hier auch genügend banale Neubauten, da regt sich niemand auf. Wir hätten die Chance zu etwas Außergewöhnlichem gehabt, aber wie gesagt, sie wurde vertan."

"Maßgeschneiderte Lösung"

Elisabeth Merk, Stadtbaurätin: "Das Bild in der Zeitung von Nieto Sobejano, diese schöne, schlanke Ansicht, die so ganz elegant erscheint, ist nur aus einer einzigen Perspektive dargestellt. Wenn man sich aber das Modell betrachtet, sieht man, dass dieser Entwurf an so einer sensiblen Stelle im Altstadtgefüge sehr viel voluminöser ist. Meiner Ansicht nach braucht jeder Ort im Zentrum der Stadt, an dem neu gebaut wird, eine maßgeschneiderte Lösung. Man muss sich das jeweils sehr genau ansehen, jede Stelle in der Altstadt entwickelt da eine eigene Dynamik. Der Entwurf von Nieto Sobejano kommt mit seiner großen Masse schlechter an diesem Ort neben dem Hotel Mandarin Oriental in der Altstadt zurecht als die klassische Variante.

Den Zuschlag für den Erweiterungsbau des Hotels Mandarin Oriental erhielt das Münchner Büro Hild und K. (Foto: Hild und K)

Modern und mutig gegen konservativ und angepasst - das sind nicht die richtigen Kriterien. Es geht darum, was sich an am jeweiligen Bauplatz schließlich wie ein Maßanzug einfügt. Der Entwurf von Hild und K verspricht die zeitgenössische Interpretation einer klassischen Form. Ich halte sehr viel von dem Büro Nieto Sobejano und habe die Architekten immer wieder nach München eingeladen. Und ich lasse mich auch gerne dafür prügeln, dass wir am Stachus mit dem Neubau des Hotels Königshof so mutig sein können. Ich bin sehr froh, dass hier dieses außergewöhnliche Konzept verwirklicht wird. Aber dort ist die Situation eben auch anders, da hat der Entwurf von Nieto Sobejano einfach mehr Raum."

"Es kommt auf den Standort an"

Alexander Reissl, Vorsitzender der SPD-Rathausfraktion: "Selbstverständlich soll man in der Altstadt nicht immer nur traditionell und an überkommene Architekturstile angelehnt bauen. Das geschieht ja auch nicht. Da ist zum Beispiel das sehr gelungene Benetton-Haus von den Hierl-Architekten in der Kaufingerstraße oder das Sporthaus Schuster, dessen Fassade über drei Häuser gezogen ist und das auch einen einigermaßen modernen Eindruck macht. Das ist auch in Ordnung, weil sich die Stadt ja fortentwickeln muss. Ich kann ja nicht im Jahr Neunzehnhundert-Irgendwann die Uhr anhalten und vorschreiben, jetzt muss alles so ausschauen wie damals. Die Kunst dabei ist, dass man trotzdem auf das Altstadtensemble Rücksicht nimmt. Ganz wichtig für die Altstadt ist, dass man sich beim Wiederaufbau nach dem Krieg am vorhandenen Muster orientiert hat, an den Straßen und Plätzen. So hat sie im Großen und Ganzen noch immer den mittelalterlichen Grundriss. Den zu bewahren, halte ich für viel wichtiger als die Gestaltung einzelner Fassaden. Darüber hinaus muss man auf die unterschiedlichen Charaktere der Altstadtviertel achten. So hat auch das Quartier um das Hofbräuhaus eine ganz eigene Prägung.

Das Parkhaus wird abgerissen. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Frage im Zusammenhang mit dem Neubau ist doch: Soll man wirklich neben das bestehende Mandarin-Oriental-Hotel mit diesem Türmchen etwas hinstellen, das sich optisch in den Vordergrund drängt? Auch wenn man sich die Dachgestaltung der spanischen Architekten anschaut, fällt auf: Sie passt nicht zu den übrigen Dachformen im Quartier, wo man noch überwiegend Satteldächer hat. Nach meiner Meinung sollte sich ein Gebäude in dieser Umgebung nicht so wichtig machen. Ganz anders ist es dagegen mit dem geplanten Königshof am Stachus. Da habe ich links ein ganz prägnantes Gebäude, nämlich den Kaufhof aus den Fünfzigerjahren, und auf der anderen Seite ein sehr dominantes Gebäude mit einer vollkommen anderen Erscheinungsform, den neoklassizistischen Justizpalast. Da passt eine starke dritte Form durchaus hinein. Es kommt schlichtweg auf den Standort an bei der Frage, ob moderne Architektur passt oder nicht."

"Schwierige Gratwanderung"

Walter Zöller, Planungssprecher der CSU-Fraktion im Rathaus: " Ich bin seit 43 Jahren Stadtrat und habe mich immer für moderne Architektur eingesetzt - vom Grundsatz her. Aber man muss auch sagen: Der Charme der Münchner Altstadt besteht darin, dass die Oberbürgermeister nach dem Zweiten Weltkrieg, Scharnagl und Wimmer, den Wiederaufbau in historischen Formen anstrebten, anstatt, was damals en vogue war, Tabula rasa zu machen und alles neu zu gestalten. Für das Bauen heute ergibt sich daraus eine schwierige Gratwanderung: Man darf kein Rothenburg machen aus der Weltstadt, man darf aber auch nicht die Historie vergessen lassen. Der zweite Punkt ist: Bei moderner Architektur spielt immer der persönliche Geschmack eine Rolle. Nehmen wir das Beispiel Neubau Königshof: Ich finde den Entwurf toll, andere finden ihn furchtbar. Hinzu kommt, dass es eine Gewöhnungsphase geben muss. Ich erlebe seit vielen Jahren, dass die Leute über moderne Architektur erst einmal empört sind, und nach 20 Jahren haben sie diese lieb gewonnen.

Generell gilt: Eine Stadt lebt von Innovation, eine Stadt lebt aber auch von ihrer Geschichte. Vor 20 Jahren im Stadtrat haben alle die Meinung vertreten, die Altstadt ist bebaut, da tut sich nichts mehr. Seitdem erleben wir das Gegenteil. Wo immer sie hinschauen, sehen sie Baukräne. Es ist ein ununterbrochener Erneuerungsprozess im Gang. Vor allem Gebäude aus den Vierziger- und Fünfzigerjahren reißt man ab und baut neu. Ich bin der Meinung: Man muss der Stadt ihre Geschichte lassen, auch was die Nachkriegsarchitektur betrifft. Dennoch muss auch die moderne Architektur eine Chance haben. In die Altstadt passt alles, was qualitätvoll ist. Aber auch erfahrene Architekten und Stadtplaner sind sich oft nicht einig, was Qualität ausmacht. Es gibt da keinen objektiven Maßstab. Ich halte die meisten Gebäude, die in den letzten 20 Jahren entstanden sind, für gelungen - etwa die Fünf Höfe, die Hofstatt, der Glasbau neben dem Löwenturm am Rindermarkt oder der Neubau im Alten Hof. Das sind herausragende Beispiele moderner Architektur."

© SZ vom 24.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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