Arbeitslager in Aubing:Das Baracken-Biotop

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Mindestens 300 Gefangene befanden sich während der NS-Zeit in einem Zwangsarbeiterlager in Aubing. Wie die Zukunft des denkmalgeschützten Geländes aussehen soll, ist ungewiss.

C. Wiedemann

Eine Zeitreise innerhalb Münchens: In der Ehrenbürgstraße 9 am westlichen Stadtrand dämmert seit mehr als 60 Jahren ein altes Barackenlager vor sich hin. Manche der Gebäude sind überwuchert. Flugsamen sind aufgegangen, so dass sich zwischen unbefestigten Fahrwegen im Schlamm von Reifenabdrücken Setzlinge unterschiedlichster Größe angesiedelt haben. Ein Biotop, könnte man meinen, stünden da nicht auch alte Autowracks, sogar ein alter Möbeltransporter in den wildwuchernden Büschen und auf dem jahrzehntelang angehäuften Abraum.

Hier sieht es fast noch so aus wie vermutlich in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs. Um ein Hofgeviert gruppieren sich in rechten Winkeln eine Handvoll niedrig geduckter Baracken. Betritt man das Gelände von Osten her, stolpert man sogar über letzte Reste einstiger Befestigungen. Einen Meter aus dem Boden heraus ragen Splitterbunker, deren vermooste Sehschlitze noch immer jeden Ankömmling zu taxieren scheinen.

Ein gespenstisches und doch seit langem belebtes Gelände, in dem Gegenwart und Vergangenheit absurde Verbindungen eingegangen sind. In den Baracken und Bunkern der Ehrenbürgstraße 9 befand sich von 1943 an ein Zwangsarbeiterlager für mindestens 300 Gefangene, von den Nazis zur Fronarbeit im nahegelegenen Reichsbahnausbesserungswerk Aubing gezwungene Männer, Frauen und sogar Kinder.

Soweit man heute weiß, hatte man sie aus Russland, Polen, Frankreich, Italien oder Holland verschleppt. In den letzten Kriegsmonaten sollen bis zu 1000 Insassen in das dreifach überbelegte Lager eingepfercht gewesen sein. Ein grausiges Erbe der Vergangenheit, das nunmehr für neue Unruhe sorgt. Das Gelände steht nämlich seit März 2009 unter Denkmalschutz.

Von den dereinst etwa 400 in und um München verteilten Zwangsarbeiterlagern ist das in Aubing das letzte erhaltene, was einerseits in der geografischen Stadtrandlage begründet sein dürfte. Aber auch die jahrzehntelange, stillschweigende Nutzung mag eine Rolle gespielt haben. Zwischen 40 und 50 Künstler und Handwerker sind dort nämlich ansässig und im dem "Verein Fauwe" (Freie Ateliers und Werkstätten) zusammengeschlossen.

Es gibt Schreiner, Maler, Schlosser, Steinmetze und Kunstschaffende jeglicher Couleur. Sogar ein Kindergarten befindet sich auf dem Gelände. Sie alle wollen bleiben, haben im Gegenteil sogar dafür gesorgt, dass zumindest eine der Baracken - das stark sanierungsbedürftige, aber weitgehend original erhaltene Haus V- vor dem Abriss sicher ist. Und auch der Rest des Geländes ist als geschütztes Ensemble in die oberbayerische Denkmalliste eingetragen. Jetzt möchte man erreichen, dass die Stadt möglichst in der "Baracke V" eine Gedenkstätte einrichtet.

Damit beginnen die Probleme, denn wer soll für die Kosten aufkommen? Derzeitiger Besitzer der Immobilie ist die Vivico Real Estate, die Immobiliengesellschaft der Bahn. Nachdem das Gelände unter Denkmalschutz gestellt war, erging im vergangenen Jahr ein Bescheid der Stadt München an die Vivico, mit der Forderung, in dringend notwendige Infrastrukturmaßnahmen zu investieren. Kanalisation, Wasseranschlüsse und ähnliches sind marode. Im Gegenzug wollte man bei der Bahn wissen, wie das Gelände weiter verwertet werden könne.

Schließlich soll in der nächsten Zeit im Westen zwischen Stadtrand und Autobahnring eine Neubausiedlung mit mehr als 10 000 Wohnungen entstehen. Was wiederum auch die Stadt in Zugzwang bringt. Denn im momentanen Zustand ist das Gelände ein Schandfleck für das künftige neue Stadtviertel. Es muss etwas passieren. Gleichzeitig wird man den aktuellen Eigentümer nur schwer davon überzeugen können, in das durch Denkmalschutz "entwertete" Grundstück zu investieren.

Wer holt die Kuh vom Eis? Planungsreferat, Kommunalreferat und die Immobiliengesellschaft verhandeln derzeit unter Federführung des Kulturreferates miteinander. Auch "Fauwe", als Interessenvereinigung für die Nutzer in der Ehrenbürgstraße, will man einbinden. Dort peilt man zwei Lösungsalternativen an. Am liebsten, so Christoph Wittner, einer der beiden Vorstände, sähe man es, wenn die Bahn ganz - oder allenfalls für einen symbolischen Euro - auf das Gelände verzichten würde.

Oder man versucht, eine Genossenschaft zu gründen, als Basis für eine wirtschaftliche Zukunft. Die Bahn wiederum hat der Stadt das Gelände für angeblich 1,5 Millionen Euro zum Kauf angeboten. Doch wer würde dann die Lasten der Sanierung tragen? Bei der Stadt sieht man den jetzigen Eigentümer in der Pflicht, prüft aber zugleich auch schon die mögliche Anbindung an das künftige NS-Dokuzentrum. Bis Ende März soll es erste Vorschläge geben, bis zum Sommer will man eine Lösung finden.

© SZ vom 26.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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