Ein schizophrenes Kind verändert in der Familie alles. Die Probleme beginnen meistens in der Pubertät, etwa mit abfallenden Leistungen in der Schule, Aggressivität oder anhaltender Depression. "Mein Bruder war schon als Kind anders als meine Schwester und ich", erzählt Melanie F. (Name geändert). Schon ein Kindergeburtstag habe ihn überfordert, statt sich zu freuen über Besuch und Geschenke habe er geweint, Freunde habe er während der gesamten Schulzeit kaum gehabt. "Heute denke ich, irgendjemand, seine Lehrer, unsere Eltern oder ein Arzt, hätte viel früher merken müssen, was mit ihm los ist."
Tatsächlich bleibt die Krankheit meistens jahrelang unerkannt - bis zur Diagnose "Schizophrenie" vergehen im Durchschnitt sieben Jahre. Qualvolle Jahre, in denen die Angehörigen zwar wissen, dass etwas nicht stimmt, aber völlig hilflos sind, da sie die Zeichen nicht zu deuten vermögen.
Mütter und Väter müssen sich damit abfinden, dass ihr Kind die in sie gesetzten Hoffnungen wohl doch nicht erfüllen kann, Geschwister müssen es verkraften, dass der schwierige Bruder oder die kranke Schwester alle Aufmerksamkeit der Eltern auf sich zieht. "Ich habe mich als Opfer gefühlt", sagt Melanie F., die gerade 13 war, als ihr großer Bruder sich die Pulsadern aufschnitt. Arbeiten konnte er nach diesem ersten Zusammenbruch kaum noch, in der Folge sei er monatelang zu Hause gelegen und habe nichts getan, das sei die schlimmste Zeit gewesen. "Es war immer eine riesige Spannung daheim", erzählt sie, "das hat die ganze Atmosphäre in der Familie überschattet".
Melanie F. will ihren Namen vor allem deshalb nicht in der Zeitung lesen, weil psychisch Kranke und deren Angehörige nach wie vor von der Gesellschaft stigmatisiert würden, wie sie sagt. Obwohl psychische Krankheiten wie Angst, Zwang, Depression und Schizophrenie inzwischen jeden vierten Deutschen betreffen, bleibt das Thema für viele tabu. Gerade Schizophrene gelten landläufig als verrückt und gefährlich, die wenigsten wissen, dass nur wenige Kranke aggressiv werden und dass Schizophrene nicht nur Stimmen hören oder sich verfolgt fühlen, sondern dass auch Depression und Angst zu den Symptomen zählen.
Melanie F.s Bruder war jahrelang das Familiengeheimnis, alle achteten peinlich genau darauf, dass Nachbarn, Freunde, Schulkameraden und Kollegen nichts davon mitbekamen, wie "schwierig" er tatsächlich war. Wie sollte man auch einer Schulfreundin erklären, dass der Bruder, offensichtlich geleitet von Wahnvorstellungen, sein Zimmer mit Gülle beschmiert und auf sämtlichen Familienfotos die Mutter mit schwarzem Filzstift übermalt hat? Auch in der Familie von Melanie F. war die Mutter die erste, die schließlich das Schweigen brach und sich in einer Angehörigengruppe offenbarte.