Genealogie:Ahnenforschung als Freizeitbeschäftigung

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Alte Familienaufnahmen können neugierig machen. Wenn die Verwandten nicht mehr weiter wissen, beginnt die Archivarbeit. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Mithilfe von Suchmaschinen kann heute jeder nach seinen verstorbenen Verwandten suchen. Auch viele Firmen machen Geschäfte mit der Vergangenheit.

Von Hans Holzhaider

Ein Foto, eines dieser Fotos, die schon auf den ersten Blick ahnen lassen, wie alt sie sind: Ein Gruppenbild, alte Leute, junge Leute, Kinder, die jungen Frauen in langen, schwarzen Röcken und weißen Blusen, die älteren Frauen in hochgeschlossenen schwarzen Kleidern, die alten Männer im schwarzen Anzug mit Gehstock, im Vordergrund ein kleiner Tisch, man weiß nicht recht, warum er da steht.

Eine Familienfeier: Der 80. Geburtstag von Katharina Mayerbacher, geboren 1835. Ganz links steht ihre Tochter Anna, geboren 1855. Die hat den Michael Teufelhart aus der Au geheiratet, und der jüngere Mann ganz rechts in der zweiten Reihe ist deren Sohn Robert, geboren 1880, der, wie schon sein Vater, das Bäckerhandwerk erlernte und im Ersten Weltkrieg in Metz eine Feldbäckerei betrieb.

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Das kleine Mädchen ganz vorn ist seine Tochter Franziska, geboren 1912; sie war drei Jahre alt, als das Foto gemacht wurde. "Schau'n Sie", sagt Elisabeth Peren, geborene Teufelhart, "der Robert, der Bruder von der Franziska, also mein Onkel, war ursprünglich nicht auf dem Foto, den haben sie später draufgepappt. Der ist lieber ins Kino gegangen als zum Geburtstag seiner Urgroßmutter."

Ahnenforschung ist in der Mode

Heute ist Elisabeth Peren selbst 75 Jahre alt, und dieses Foto, auf dem vier Generationen ihrer Vorfahren abgebildet sind, gab mit den Anstoß zu den Forschungen, die nun schon seit fast 20 Jahren zu einer Art Leidenschaft geworden sind: Elisabeth Peren erforscht die Geschichte ihrer Familie. Ein Hobby, das sie mittlerweile mit Tausenden teilt. Ahnenforschung ist ganz groß in Mode gekommen.

Nicht, dass es das früher nicht gegeben hätte - gerade in Deutschland war die Erforschung der Familiengeschichte zwölf finstere Jahre lang geradezu eine Bürgerpflicht. Die Nürnberger Rassegesetze erlegten allen Heiratswilligen auf, ihre arische Abstammung nachzuweisen, und wer es in der Partei oder in der SS zu etwas bringen wollte, der musste mit einem Ahnenpass seine Vorfahren bis in die vierte Generation auflisten.

Elisabeth Peren ist durch ein altes Familienfoto zur Ahnenforschung gekommen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Aber Ahnenforschung war lange etwas für Spezialisten, die sehr viel Zeit haben und möglichst auch alte Schriften entziffern und lateinische Texte lesen konnten. Im Computerzeitalter ist Ahnenforschung eine Freizeitbeschäftigung für jedermann geworden. Genealogievereine schießen aus dem Boden, Volkshochschulen bieten Einführungskurse an, und vor allem gibt es im Internet Suchmaschinen, die in Sekundenschnelle Milliarden von Datensätzen durchsuchen und Ergebnisse liefern.

Seelenheil für die ungetauft verstorbenen Vorfahren

Die Mormonen waren die ersten, die in großem Maßstab familiengeschichtliche Daten sammelten. Das hat einen religiösen Grund: Die Heiligen der Letzten Tage glauben, dass sie das Seelenheil ihrer ungetauft verstorbenen Vorfahren retten können, wenn sie sich stellvertretend für diese taufen lassen. Aber dazu muss man sie erst einmal kennen.

Also machten sich die Agenten der Latter-Day-Saints schon vor hundert Jahren auf den Weg, um vor allem in Europa Kirchenmatrikel, Einwohnermelderegister, Volkszählungslisten, Passagierverzeichnisse von Überseedampfern abzufotografieren oder -filmen. Gerade haben sie der Stadt München ein Angebot unterbreitet, knapp fünf Millionen Seiten Polizeimeldebögen und Personenstandsregister zu digitalisieren.

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Schon in den sechziger Jahren verfilmten sie die im Staatsarchiv München gelagerten Ansässigkeits- und Verehelichungsakten. "Wir nennen das die Mormonenfilme", sagt Christoph Bachmann, der Leiter des Staatsarchivs, und er findet es keineswegs anstößig, dass diese Arbeit von einer amerikanischen Glaubensgemeinschaft erledigt und vor allem auch finanziert wurde. Denn so sind die Daten auch für deutsche Interessenten verfügbar - die Mormonen verfilmen nicht nur, sondern schlüsseln die Daten auch durch Indizes auf.

Längst sind die Mormonen nicht mehr die einzigen auf diesem Markt. Die US-Firma ancestry.com zum Beispiel hat unter anderem bayerische Adressbücher, Häftlingslisten der Konzentrationslager Dachau und Flossenbürg und die Kriegsstammrollen der bayerischen Armee aus dem Bayrischen Hauptstaatsarchiv digitalisiert - wer wissen will, an welchen Schlachten sein Großvater im Ersten Weltkrieg teilnahm, wird hier fündig.

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Das Geschäft mit der Ahnenforschung ist mittlerweile für den Laien kaum noch überschaubar, und auch der Profi tut sich schwer, des Geflecht der verschiedenen Internet-Anbieter zu durchblicken. Harald Nottmeyer ist Erbenermittler. Wenn ein Mensch stirbt, ohne Kinder, Geschwister oder noch lebende Eltern zu hinterlassen, dann kommt der Nachlasspfleger zu Leuten wie Harald Nottmeyer, um potenzielle Erben ausfindig zu machen.

Der muss dann nach Geschwistern der Eltern und deren Abkömmlingen suchen, und danach nach den Geschwistern der Groß- oder sogar Urgroßeltern mit deren Kindern. Seine Stammbäume wachsen in die Breite, nicht in die Höhe - "ich hatte mal einen, der war sechs Meter lang", erzählt Nottmeyer.

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Er ist viel in Polen und Tschechien unterwegs; manchmal führt ihn die Familienforschung tief hinein in die dunkelsten Abgründe der deutschen Geschichte. Eine jüdische Familie - nahezu alle, die als Erben in Frage kämen, wurden ermordet. Ein einziger Stamm hat überlebt, weil einer der vielen Onkel und Tanten rechtzeitig nach Palästina auswanderte.

Natürlich arbeitet auch Nottmeyer mit den amerikanischen Suchmaschinen. Aber er glaubt, dass die Konkurrenten enger miteinander verflochten sind, als es den Anschein hat. Und beweiskräftige Daten liefern sie ohnehin nicht - dazu braucht er die Originaldokumente aus Pfarrämtern und Archiven.

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Elisabeth Peren, geborene Teufelhart, hat ihre Vorfahren ohne die Mormonen und ohne das Internet ausfindig gemacht. Ihre Familie ist seit mehreren hundert Jahren im Dachauer Land ansässig, und alles, was sie wissen musste, fand sie in den Beständen der Erzbischöflichen Archive in München, Passau und Regensburg.

Bis in die zwölfte Generation hat sie die Linie der Teufelharts zurückverfolgen können: Georg Teufelhart, Ganzbauer in Überacker, geboren am 2. August 1653. Er war ihr Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Urgroßvater. Davor verliert sich die Geschichte der Familie Teufelhart im Dunkeln: Der Dreißigjährige Krieg setzt fast allen Ahnenforschern eine unüberwindliche Schranke.

© SZ vom 26.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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