Abschieben schwer gemacht:Gesetze und Gefühle

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Bettina Nickel vom Katholischen Büro Bayern entscheidet in der Härtefall-Kommission mit über das Bleiberecht von Flüchtlingen. Die Juristin muss christliche Nächstenliebe und Paragrafen in Einklang bringen. Ihre Empfehlungen wurden bisher noch nie korrigiert

Von Dietrich Mittler

Man muss gut zuhören, um die kleine Frau aus dem Irak zu verstehen. Sie spricht leise. "Meine Schwestern und meine Mama dachten, dass ich tot bin. Fast 20 Jahre lang", sagt sie. Die anhaltenden Kämpfe in ihrem Heimatland haben ihr zwar einst den Vater genommen, nicht aber das Kind. Das taten ihr Verwandte an, die sich daran störten, dass sich die Frau einen Mann erwählt hatte, der ihnen nicht passte. Sie warfen einen Brandsatz in ihr Zimmer. Das Kind kam um, sie selbst trug am ganzen Oberkörper Narben davon. Die Frau floh nach Deutschland. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sah in dieser Fluchtursache allerdings keinen Asylgrund. "Die Übersetzung war schlecht", sagt sie. Sie habe nicht verstanden, was sie die Leute da fragten. Von Landsleuten erfuhr die Irakerin Jahre später von der Härtefall-Kommission. Sie rief an, lernte die Frau kennen, die ihren Fall vertreten sollte: Bettina Nickel vom Katholischen Büro Bayern.

Nickel, die in früheren Jahren auch mal Kleinkriminelle als Strafverteidigerin vertrat, gelang es, das Vertrauen der Frau zu gewinnen, sodass sie die ganze Geschichte erfuhr. Wie die Irakerin als Schwangere ihren damals kleinen Sohn Buran, der den Anschlag unverletzt überstanden hatte, bei Nacht und Nebel über die türkisch-griechische Grenze getragen hatte. Wie sie in Griechenland ihr Partner sitzen ließ, wie sie endlich am Münchner Hauptbahnhof ihre Mutter in die Arme schließen konnte, die schon länger in München lebte.

Nickel hat in den zurückliegenden zehn Jahren, denen sie nun der Härtefallkommission angehört, viele Geschichten gehört. Bei der kurdischen Frau aus dem Irak ist sie sich sicher, dass die Geschichte stimmt. Als Strafverteidigerin hat die 46-Jährige Menschenkenntnis, und das hilft: "Mich hat die Tage einer angerufen", erzählt sie, "und bat um Unterstützung für einen Mann, der im Gefängnis sitzt", erzählt sie. "Aber für Schwarzfahren oder andere kleine Delikte kriegt keiner drei Jahre", sagte sie sich nach dem Anruf. Dann der Ausweisungsbescheid, obwohl der Betroffene mit einer deutschen Frau verheiratet ist. Für Nickel war der Fall damit klar: ungeeignet für die Härtefallkommission.

"Jeder Mensch ist ein Abbild Gottes, jeder einzelne Mensch hat es also verdient, dass man um ihn kämpft", sagt Nickel als einstige Stipendiatin des katholischen Cusanuswerks. Von ihrem Schreibtisch aus blickt sie auf ein großes altes Kruzifix, die Leihgabe eines befreundeten Geistlichen. Aber da ist ja auch noch die Juristin, christlich geprägt zwar - aber eben auch rechtstreu. Und die sagt: "Für mich gehört zur Integration, dass ich die Rechtsordnung eines Landes, in das ich komme, akzeptiere."

"Ich bin Juristin", sagt Bettina Nickel, "und deswegen wahrscheinlich chronisch kritisch." Aber jeder Mensch verdiene es, dass man um ihn kämpft. (Foto: Stephan Rumpf)

Es gibt also wenig Verhandlungsmasse bei den Ausschlussgründen, die laut Verordnung für die Härtefall-Kommission bindend sind: bewusste Täuschung und Irreführung der Behörden, nicht geklärte Identität, Nichterfüllung der Passpflicht, Vorstrafen für Betroffene - oder die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts. Liegen gravierende Ausschlussgründe vor, so dürfen Nickel und die weiteren acht Mitglieder der Kommission kein Härtefall-Ersuchen stellen. Will sie auch gar nicht. "Ich bin Juristin, und deswegen wahrscheinlich auch chronisch kritisch", sagt sie.

Nicht jeder kommt mit einem "Nein" klar. "Ich hatte hier auch schon einen, der ist richtig laut geworden", sagt sie. Nickel hatte zuvor einen genauen Blick in die Akten genommen, die die Geschäftsstelle auf ihre Bitte hin von der zuständigen Ausländerbehörde angefordert hatte. Das Ergebnis war eindeutig: "Der war verurteilt worden wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, und hinzu kamen antisemitische Äußerungen." Diesem Mann sagte Bettina Nickel klipp und klar: "Das geht nicht!" Seitdem haben ihre Mitarbeiterinnen im Katholischen Büro die Anweisung, aufzupassen, wem sie die Tür aufmachen.

Nicht selten fingen die Betroffenen jedoch bei einer Abweisung eher zu weinen an. Nickel kann das verstehen. "Könnte ich die Ausländergesetze machen, so wäre manches anders", sagt sie. Auch hat sie das Schicksal ihrer eigenen Familie gelehrt, dass Schuld und Unschuld manchmal sehr nahe beieinander liegen. "Meine Großmutter hat 1945 während der Flucht aus Schlesien selbst eine falsche Identität angenommen. Sie gab sich als ihre eigene Mutter aus und trimmte sich auf alt, weil sie Angst vor der Vergewaltigung durch russische oder polnische Soldaten hatte", erzählt Nickel. Ihre Lehre daraus: "Es gibt Notsituationen, in denen man Dinge tut, die man unter anderen Umständen nicht tun würde."

Oft sei das Schicksal jener Menschen, die sie vertritt, gnadenlos. Etwa das jener russischen Frau, die weiß, dass ihr die Krebserkrankung nicht mehr viel Zeit geben wird - nicht genug Zeit jedenfalls, um ihren achtjährigen Sohn noch zum Mann heranwachsen zu sehen. "Der Bub ist halt deutsch, er ist hier in diesem Land aufgewachsen", sagt Nickel. Und das ist genau einer jener Fälle, in denen die Härtefallkommission greift. Die Gründe, die in einem Asylverfahren eine Rolle spielten, seien für die Härtefallkommission eben nicht ausschlaggebend. "Vielmehr geht es bei uns um persönliche, um humanitäre Härtefälle", sagt Nickel. Das heißt: "Es geht um Menschen, die so Wurzeln geschlagen haben, dass man nicht versteht, warum die unser Land wieder verlassen müssen." So wie jener Nigerianer etwa, der im Asylverfahren von vornherein so wie gut keine Chance hatte, der sich hier aber vorbildlich einfügte, den Hauptschulabschluss und die Mittlere Reife machte und mittlerweile in der Ausbildung zur Pflegefachkraft ist. "Sein Traum ist es, Arzt zu werden", sagt Nickel.

Als vor einigen Monaten die Härtefall-Kommission ihr zehnjähriges Bestehen feierte, bei einem Stehempfang mit Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, da richtete genau dieser Nigerianer als Gast Dankesworte an die Anwesenden. Herrmann hörte aufmerksam zu. Er hat, wenn die Kommission eine Empfehlung zu Aufenthaltsgenehmigung ausspricht, stets das letzte Wort. In all den Jahren hat Herrmann aber noch nie eine Empfehlung der Härtefall-Kommission abgelehnt.

Auch die Irakerin, die beim Brandanschlag ihrer Verwandten ihr Kind verlor, wird ein Aufenthaltsrecht bekommen. Zuvor aber muss sie noch einmal zurück in das Land, in dem ihre Flucht begann. Um sich dort einen Pass ausstellen zu lassen. Sie hat Angst vor dieser Reise. Aber sie wird fliegen, schon allein für die sichere Zukunft ihres Sohns und ihrer in Deutschland geborenen Tochter. Die zwei empfinden sich selbst als Deutsche. Vom Sohn hört sie oft: "Warum soll ich Kurdisch lernen? Das ist nicht mein Land!" - "Wenn er will, soll er es so machen", sagt seine Mutter. Gerne würde sie die Sprache ihres Sohnes besser sprechen. Allein, sie muss den Unterhalt für ihre Familie ohne Partner bestreiten - und das heißt arbeiten, arbeiten, arbeiten, oft bis spät in die Nacht.

Bisweilen, so sagt Nickel, gibt es in der Kommission durchaus Diskussionen. Nur wirklich wasserdichte Härtefallersuchen sollen dem Minister zur Entscheidung vorgelegt werden. Bei der kurdischen Mutter gab es keine Diskussion. Aus Nickels Sicht läuft es nun in die richtige Richtung. "Ich habe die Arbeit in der Kommission nie bereut", sagt sie, "das ist eine Aufgabe, die mich erfüllt." Vor mehr als zehn Jahren hat Bettina Nickel als Frau der ersten Stunde das Rahmenwerk für die Arbeit der Härtefall-Kommission mit ausgearbeitet. "Ja, das ist auch mein Baby", sagt sie. Lieber aber wäre es ihr eigentlich, wenn es die Härtefallkommission gar nicht bräuchte.

© SZ vom 13.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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