20 Jahre Rot-Grün in München:Münchens langer Marsch

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"Wie war das noch - mit Mao, Marx, Marcuse?" Ein früherer Rivale gratuliert der rot-grünen Koalition in München und erinnert daran, was alles "bläd glaffa" ist.

Peter Gauweiler

Wo sind sie hin, die Zauselbärte und Strickpullis, die Latzhosen und die Turnschuhe an Ministerfüßen, fragt der Chronist zum Jubiläum von 20 Jahren Rot-Grün im Münchner Rathaus. Das garantiert allerälteste Alternativ-Bündnis in Deutschland. Viel älter noch als der Petueltunnel.

Auch lange Haare werden grau und die Kinder vom Kinderkreuzzug haben nach Solln und Bogenhausen zurückgefunden. Nix mehr mit Fixerstuben und Mutlangen-Blockade, sondern Ja zu Bundeswehr und Rauchverbot. Und "Joschka Fischer Consulting" vermittelt Termine für den BMW-Vorstand.

Jeder darf selbst entscheiden, ob das der Geschichte vom verlorenen Sohn ähnelt oder der Fabel von der "Farm der Tiere", wo die guten Schweine wie die bösen Menschen werden.

Wie heißt das Sprichwort? Wir ändern nicht die Zeiten, sondern sie uns. Jedenfalls sitzt das andersartige Bündnis von einst heute am Münchner Marienplatz ziemlich breit da. Unverzichtbar für Beziehungskisten aller Gewappelten der Stadt und solcher, die es werden wollen. Wie früher die ÖTV oder der Katholikenrat. Oder beide zusammen. Und der Christopher Street Day wirkt mit der Zeit auch nicht störender als der Faschingszug.

Der lange Marsch von der Nische in die Mitte hat auch mitten zwischen die anderen Parteien geführt. In vielen Städten, so auch in Hamburg, regiert ein Bündnis von CDU und Grünen, wie es heißt im besten Einvernehmen miteinander. Ob auch im Einvernehmen mit der Bevölkerung, wird sich dort bei der bevorstehenden Volks-Abstimmung über die grün-schwarze Schulreform zeigen.

Im Saarland regiert sogar Schwarz-Grün-Gelb, und der CDU-Ministerpräsident und seine Leute stützen sich gerne auf das "grüne Milieu", das nach Meinung von Experten gerade durch "Besserverdiener" gekennzeichnet ist. Wie war das noch - mit Mao, Marx, Marcuse?

In unserer politisch uniformen Berliner-Republik-Welt, wo nicht mehr gekämpft, sondern vermittelt wird, wirkt die Erinnerung an die Anfänge von Rot-Grün in München fast wie ein archäologisches Phänomen. Aber Vorsicht! Selbst dem Bündnis von München als Urkanton rot-grüner Verwaltungsmacht in Deutschland ging ein schwarz-grünes Techtelmechtel voraus, das eine lokale Sensation war: 1987 bei der Wahl zum Kreisverwaltungsreferenten verweigerten mehrere SPD-Stadträte dem SPD-Kandidaten (einem gewissen Christian Ude) die Stimme und wählten Hans-Peter Uhl von der CSU zum strahlenden Sieger.

Bläd glaffa!

Der neue Fraktionschef der CSU, Walter Zöller, bastelte an einer Gestaltungsmehrheit und ein Jahr später, 1988, wählten CSU und Grüne im Münchener Rathaus gemeinsam vier Stadtminister, darunter den grünen Kommunalreferenten Georg Welsch.

Zöller hatte den Hoffnungen der Münchner SPD, die sich mit den Grünen aber noch nicht so richtig trauten, ein mächtiges Geweih aufgesetzt. Das gefiel auch dem Mi-nisterpräsidenten Franz Josef Strauß, den Walter Zöller und der Münchner CSU-Chef Erich Kiesl zuvor eigens gefragt hatten.

Das Plazet von FJS war umso bemerkenswerter, als die Grünen damals wegen ihrer ständigen Beschimpfungen des Ministerpräsidenten von staatlichen Empfängen ausgeschlossen waren. (Das galt übrigens nicht für die seinerzeitige Obergrüne Antje Vollmer, die Strauß mochte und mit der er gerne über die Tupamaros in Uruguay und auch sonst über den Lauf der Welt sprach - aber das ist eine andere Geschichte.)

Trotzdem kann man nicht sagen, dass die Gestaltungsmehrheit eine wirklich gute Idee war: Die CSU wurde bei der folgenden OB-Wahl auf 26 Prozent reduziert, und die Roten brauchten sich ihrer Menage mit den Grünen nicht mehr zu genieren - ausgerechnet die CSU hatte sie hoffähig gemacht. Und das seit 20 Jahren. Bläd glaffa!

Eines der Rezepte dieses langen rot-grünen Zusammenhalts lautet "Einigkeit bei Uneinigkeit" - immer wenn die "kleine" Kommunalpolitik große Weichenstellungen vorzunehmen hatte. Und die gab es in diesen 20 Jahren genug: Nach der Flughafenverlegung von Riem nach Erding die Verlegung der Münchner Messe von der Innenstadt nach Riem; der Ausbau des Mittleren Rings durch drei riesige Tiefbauwerke; der Bau eines neuen Fußballstadions in Fröttmaning; der Richtungsentscheid für die Stadtsilhouette und gegen Hochhäuser höher als die Frauentürme.

Aber hallo!

Nichts von alledem wurde von der rot-grünen Stadtregierung beschlossen oder nur gut geheißen. Vielmehr waren Rot und Grün im Rathaus in diesen Fragen völlig uneinig. Zur Mehrheitsbildung kam es auf die sonst zur Seite gedrängten CSU-Stadträte an sowie, durch erzwungene Bürgerentscheide, auf das Volk der Stadt München. Treu dem Motto: "Hier werden Sie geholfen". Oder: "Hannemann, geh du voran! Du hast die größten Stiefel an!" Das freilich stammt nicht von Rot-Grün, sondern von den Sieben Schwaben.

"Alle Politik ist Problemlösen", sagt Karl Popper. Die rot-grüne Ergänzung lautet: Problemlösen geht auch, wenn die eigenen Aufgaben andere erledigen. Selbst getan haben sie die Umwandlung der Münchener Stadtwerke in eine GmbH. Na ja.

In der "Grünen Mamba", ihrem Zentralorgan, war schon 2008 aus der Feder des grünen Stadtrates Siegfried Benker zu lesen: Was wäre, "wenn es der CSU gelänge, ihren derzeitigen Spitzenkandidaten Schmid entgegen ihrer Tradition nicht nach kurzer Zeit abzusägen". Dann "könnten die Bündnisverhandlungen 2014 spannend werden". Aber hallo!

Peter Gauweiler, 60, war Stadtrat und Kreisverwaltungsreferent, Landtagsabgeordneter und Landesminister. Von 1990 bis 1998 führte er die München-CSU, seit 2002 vertritt er den Wahlkreis München-Süd im Bundestag.

Lesen Sie weitere Berichte zu 20 Jahre Rot-Grün in München in der Printausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 17. März. Hier geht es zum Probe-Abo.

© SZ vom 17.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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