Neue Serie:München ist heute zu glatt

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Bei Serien sind alle auf eine andere Zeit fixiert - das verzerrt das Bild des aktuellen Münchens. (Foto: dpa)

Deshalb drehen alle lieber Serien über die Siebziger. Dabei wäre etwas Neues über Mietermobbing möglich - Stoff bietet sich in der Realität genug.

Von Michael Bremmer

Kostümbildner und Filmausstatter sind schon ganz aus dem Häuschen. Oliver Berben hat gerade angekündigt, eine Fernsehserie über die wilden Siebzigerjahre in München zu drehen, und alle schwirren los. Kaufen kistenweise Hotpants und Clogs in Vintage-Läden, klappern Faschingsgeschäfte ab, um Schlaghosen, Afro-Perücken und überdimensionierte Sonnenbrillen zu ergattern. War halt schon ein geiles Lebensgefühl damals. Viel Sex. Viel Rebellion. Das verkauft sich im Fernsehen.

So gesehen muss man sich ja nicht über den Retro-Wahn bei den Filmemachern wundern. In der Dauerschleife laufen Wiederholungen von Serien wie "Monaco Franze", "Kir Royal" und "Irgendwie und Sowieso". Warum? Weil die Serien genial sind. Weil dort ein Münchengefühl verkörpert wird, von dem alle nicht genug bekommen können, auch wenn es mit der Wirklichkeit von heute nichts mehr zu tun hat.

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Eine neue Fernsehserie soll zeigen, wie es in den wilden Siebzigerjahren an der Isar zuging. Produzent Oliver Berben verspricht eine Mischung aus Nostalgie und Ernst.

Und weil es in den vergangenen Jahrzehnten noch ordentlich Krawall gab. Auf der Straße, im Pop-Club, im Bett. Jeder Film, jede Serie braucht Reibungspunkte - und deswegen gibt es keine ernstzunehmende Serie in der Jetztzeit. "München 7", könnte man entgegnen, aber das ist auch Folklore-München. Krimis von Dominik Graf? Gut, immerhin keine Postkarten-Idylle, aber der gute Mann dreht an so unwirtlichen Stätten, dass es ebenfalls nichts mit der vermeintlichen Weltstadt mit Herz zu tun hat.

München heute ist zu glatt. Die Subkultur wird an den Rand gedrängt, BWL-Studenten feiern illegale Techno-Partys in U-Bahn-Nähe, sonst würde keiner zum Feiern kommen. Die Spitzenpolitiker der Stadt sind sich so ähnlich, dass man jedesmal aufs Neue googlen muss, welcher Partei sie angehören. Alle Häuser in der Stadt werden gedämmt - klopft man an die Fassaden, hört sich selbst das mittlerweile gleich hohl an.

Aber Moment, gibt es hier nicht doch Reibach . . ., äh Reibungspunkte? Der Münchner Mietmarkt könnte als Kulisse für den neuen Kassenschlager dienen. "Der Entmieter" könnte die Kultserie über neueste Tricks im Baugewerbe sein. Hier werden Fenster von bewohnten Häusern einfach zugemauert, Decken schwarz gestrichen, Fallrohre rausgerissen, Heizungen abgestellt. Die Baustelle versperrt der Müllabfuhr den Weg, Kinder von Baustellenleitern dürfen im Ernstfall mit dem Kran spielen. Werden erste Wohnungen frei, kommen dort Bauarbeiter in Stockbetten unter. Agenturen für Party-WGs kommen zum Einsatz, es muss ja regelmäßig richtig laut werden, um alteingesessene Mieter zu vergraulen. Stoff über Mietermobbing bietet sich in der Realität genug.

Herr Berben, hier steckt das wahre Empörungspotenzial. Und, liebe Filmausstatter: Die Mode der Siebziger war Fashiontrend 2015 - vielleicht gibt es ja noch irgendwo Restposten.

© SZ vom 03.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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