Lebensretter im Flugzeug:Engel an Bord

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Zwei 16-Jährige bestehen ihre Sanitäterausbildung - und retten nur wenige Stunden später auf einem Flug einem Mann das Leben. Ganz ohne fremde Hilfe.

Peter Fahrenholz

Es hat sich schon in der Kindheit abgezeichnet, dass Maximilian und Constantin Pfandl andere Interessen entwickeln würden als ihre Altersgenossen. Als Playmobil-Spielzeug wünschten sich die Münchner Zwillinge nicht etwa die Ritterburg, sondern die Rettungsstation, mit Feuerwehrauto und Rettungshubschrauber. Später haben sie ihre Eltern, beide Orthopäden, auf Ärztekongresse begleitet. "Das hat Spaß gemacht", erzählt Maximilian.

Nach ihrer Rettungsaktion: Constantin (links) und Maximilian Pfandl, Münchner Zwillinge, in der Arztpraxis ihrer Eltern. (Foto: Catherina Hess)

Als sie 13 Jahre alt waren, haben sich beide beim Roten Kreuz angemeldet, dazu brauchten sie eine Sondergenehmigung, weil sie eigentlich noch zu jung waren. Seit knapp zwei Wochen sind die beiden 16-Jährigen jetzt ausgebildete Sanitäter. Am letzten Sonntag im Oktober haben sie mittags ihre Prüfung bestanden - am Abend haben sie dann einem bewusstlosen Fluggast auf dem Flug nach London das Leben gerettet. Ganz allein und ohne fremde Hilfe, denn ein Arzt war nicht an Bord.

Die Zwillinge sind auf dem Flug zum Patenonkel nach London, dort sind sie immer in den Herbstferien zu Besuch. Plötzlich bekommt Constantin mit, dass hinter ihnen ein Gast vom Kabinenpersonal nach hinten in die Bordküche getragen wird. Weil Constantin am Fenster sitzt, geht sein Bruder Maximilian nach hinten. "Da saß ein Mann zusammengesunken auf dem Stuhl", erzählt er. Der Mann ist bewusstlos. "Ich habe gesagt, ich bin vom Roten Kreuz, kann ich was helfen?", erzählt der junge Mann. Die Stewardessen stimmen sofort zu.

Der frischgeprüfte Sanitäter rüttelt drei-, viermal an dem Mann, aber der reagiert nicht. Inzwischen ist auch Zwillingsbruder Constantin nach hinten geeilt. Gemeinsam lagern die beiden Buben den Mann auf den Boden der engen Bordküche, legen seine Beine hoch. Sie registrieren den kalten Schweiß, fühlen den Puls und messen den Blutdruck - die Stewardessen haben die Notfallausrüstung der Maschine herbeigebracht.

Der Puls ist höher als der Blutdruck, die Buben wissen: Das ist ein Zeichen für einen Schock. Und dann kommen sie auf eine Idee, auf die in der gleichen Lage nicht jeder Arzt gekommen wäre: Sie messen bei dem inzwischen ansprechbaren, aber völlig verwirrten Mann den Blutzuckerspiegel, das entsprechende Gerät gehört glücklicherweise zur Notfallausrüstung.

Der Mann hat alarmierenden Unterzucker, ist auf dem Weg ins Koma. Maximilian schildert dem Personal die Lage. "Mir sind da Wörter auf Englisch eingefallen, die kann ich heute gar nicht mehr wiederholen." Er versucht von Bord aus, den Vater anzurufen. Der Orthopäde Stephan Pfandl ist auch ausgebildeter Unfallarzt, doch die Verbindung kommt nicht zustande. Die beiden Buben müssen die Situation alleine bewältigen.

Zwei Flaschen Cola gegen den Unterzucker

Maximilian ordert zwei Flaschen Cola, die er dem Mann Schluck für Schluck zu trinken gibt, sein Bruder bereitet derweil alles für eine mögliche Reanimation vor. Der Zustand des Mannes bessert sich, doch dann erschüttern plötzlich Turbulenzen das Flugzeug. Mit einer Stewardess trägt Maximilian den Mann nach vorne, der Bruder schleppt die Notfallausrüstung hinterher, alle Fluggäste schauen interessiert zu. "Ich habe der Purserin gesagt, es ist nach wie vor gefährlich", sagt Maximilian.

Der Pilot fordert die übrigen Gäste auf, Ruhe zu bewahren, und gibt offenbar ordentlich Gas, die Maschine landet eine halbe Stunde früher als geplant in London. Der Rettungsdienst wartet unten schon, alles geht gut, der Mann kommt ins Krankenhaus. "Dann hat sich die ganze Crew bedankt, auch der Pilot ist rausgekommen", erzählt Maximilian.

Dass sie dem Mann das Leben gerettet haben, wissen die beiden. Wären sie nicht zu Hilfe gekommen, "dann wäre der langsam eingeschlafen und weg gewesen". Und sie hätten auch nicht gezögert, eine Notlandung zu fordern, falls ihr Patient erneut das Bewusstsein verloren hätte. "Dann hätte ich gesagt: sofort runter", erzählt Maximilian, und er klingt dabei wie ein Routinier.

Natürlich wollen beide später Ärzte werden, klar. Allerdings wird Maximilian, der um zwei Minuten Ältere, darauf ein Jahr länger warten müssen, denn er hat in der Schule eine Ehrenrunde gedreht. Die Zwillinge sind auch die Schulsanitäter. Die Latexhandschuhe haben sie immer in der Hosentasche stecken, man weiß ja nie. "Wir ziehen echt die Patienten an", sagt Constantin.

© SZ vom 10.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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