Aktuelles Lexikon:Mehrheit

Mehrheit ist Mehrheit, sagen die einen. Doch der Blick nach Griechenland lehrt: Ganz so einfach ist es nicht.

Von Tobias Zick

Wer in einer Demokratie regieren will, braucht eine Mehrheit, so einfach ist das nur vordergründig, denn es bleibt zu klären: Was für eine Mehrheit? Eine relative oder eine absolute? Und was passiert, wenn eine Mehrheit nur sehr knapp ausfällt? Auf solche Fragen hat jedes Land seine eigenen Antworten, und im Fall der vielzitierten Wiege der europäischen Demokratie, Griechenlands also, fielen die lange Zeit recht eindeutig aus. Jahrzehntelang hatte das Land Ein-Parteien-Regierungen, was auch an einer Besonderheit im Wahlrecht lag: Die Partei, die bei einer Wahl am stärksten abschnitt, bekam gewissermaßen als Bonus 50 Sitze zusätzlich. Bei einem Parlament mit nur 300 Sitzen ergab das eine recht deutliche Verzerrung des Wählerwillens - so jedenfalls sahen es Kritiker, darunter Alexis Tsipras, der als Premier das Bonussystem 2016 abschaffen ließ. Wahlrechtsänderungen treten aber laut griechischer Verfassung erst zur jeweils übernächsten Wahl in Kraft - in diesem Fall also an diesem Sonntag. Allerdings erzielte dabei keine Partei genug Stimmen, um nach dem neuen Verhältniswahlrecht allein eine Regierung bilden zu können, und ob sich eine Koalition findet, ist fraglich. Deshalb werden die Griechen wohl am 25. Juni erneut wählen dürfen - und dann gilt wieder ein (allerdings gestaffeltes) Bonussystem. Dieses hat die konservative Regierung von Amtsinhaber Kyriakos Mitsotakis 2020 eingeführt.

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