Hunderte Explosionen und Schüsse täglich, zerstörte Häuser und Verletzte - die Beobachter der OSZE schildern im Stellungskrieg in der Ostukraine keine wesentlich andere Lage als bei der Vereidigung von Präsident Wolodimir Selenskij vor einem Jahr.
Selenskijs Ankündigung, er könne im persönlichen Kontakt mit Russlands Präsident Wladimir Putin den Krieg beenden, erschien schon damals grundlos optimistisch: Den Krieg auf Sparflamme weiterzuführen und die Ukraine geschwächt zu halten, bleibt das vorrangige Interesse des Kreml.
Auch Reformversprechen oder die Ansage, die Herrschaft der Wirtschaft und Politik dominierenden Oligarchen brechen zu wollen, weckten Skepsis: Schließlich verdankt Selenskij seine Karriere zu großen Teilen dem Milliardär Ihor Kolomoiskij und wurde vor Jahresfrist mit dessen massiver Unterstützung Präsident.
Die Skeptiker behielten, leider, recht. Milliardäre wie Rinat Achmetow oder Kolomoiskij und etliche andere sind so mächtig wie zuvor. Wie unter vorangegangenen Präsidenten von Leonid Kutschma über Wiktor Juschtschenko bis zu Petro Poroschenko scheint Selenskijs Wille zu echter Umgestaltung schon erlahmt zu sein, werden Reformer wieder gefeuert, wird in Kiew weiter nach dem Prinzip der Vetternwirtschaft regiert.
Millionen Ukrainer haben vor einem Jahr auf einen neuen Aufbruch für ihr Land gesetzt. Bisher deutet wenig darauf hin, dass ihre Hoffnungen unter Präsident Selenskij noch erfüllt werden.