Österreich:Zwischen Machtgier und Wut

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Die FPÖ langt derzeit rhetorisch besonders kräftig hin und wirft der Regierung gerne mal Gleichschaltung, Zensur oder Freiheitsberaubung vor. Die Freiheitlichen sind ein Sammelbecken der Verantwortungslosen - und nicht mehr vermittelbar.

Kommentar von Cathrin Kahlweit

Vielleicht war Herbert Kickl einfach zu kurz österreichischer Innenminister, um neben der Bürde des Amtes jemals auch dessen Würde zu erkennen. Der FPÖ-Mann verlor 2019 nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos seinen Job, weil die Koalition mit der ÖVP zerbrach. Seither demonstriert er täglich, warum die Entscheidung von Kanzler Sebastian Kurz, 2017 mit den Rechtspopulisten zu regieren, mehr war als ein Vabanquespiel - es war eine Katastrophe mit Ansage. Immer klarer wird, dass Skandale, Intrigen, Korruption, Demokratieverachtung und rechtsradikale Einstellungen genauso zum Wesenskern der Partei gehören wie ihr ehemaliger Generalsekretär und späterer Minister Kickl mit seiner Skrupellosigkeit und seinem Hang zu politischen Extremen.

Die FPÖ ist seit dem Ende von Türkis-Blau ein Schatten ihrer selbst, ihr kompromittierter Ex-Vorsitzender, Heinz-Christian Strache, irrlichtert als Polit-Zombie umher - und Kurz regiert mit den Grünen, die ihm ein bequemerer, vor allem aber ungefährlicherer Partner sind.

Der Parteivorsitzende gibt den Gemäßigten, der Fraktionschef den Anstifter

Die Rechtspopulisten kämpfen derweil an zwei Fronten, und es ist ein gut gehütetes Geheimnis der Parteiführung, ob diese Dualität Taktik oder Verhängnis ist: Der ehemalige Präsidentschaftskandidat und jetzige Parteivorsitzende Norbert Hofer gibt den gemäßigten, regierungsfähigen Part, der etwa in der Pandemiebekämpfung auch mal konstruktive Vorschläge macht. Mutmaßliches Ziel: der Wiedereintritt in die Regierung, falls Türkis-Grün scheitert. Derweil läuft Fraktionschef Herbert Kickl verbal Amok und signalisiert nach rechts außen, dass jeder Anschein von Seriosität nur eine Show für die Konservativen ist.

Die von den Behörden verbotenen Demonstrationen sogenannter Querdenker und Corona-Leugner am vergangenen Sonntag, bei denen 10 000 in Teilen sehr aggressive Menschen durch Wien marschierten, hat die FPÖ mit befeuert, auch wenn Kickl zum Schluss scheinheilig zu "Besonnenheit" aufrief. Vorher aber hatte vor allem er rhetorisch zugelangt und der Regierung Gleichschaltung, Zensur, Freiheitsberaubung, Gesetzesbrüche vorgeworfen. Die ÖVP entdeckt nun plötzlich eine "unheilige Allianz zwischen der FPÖ und rechtsradikalen Gruppen", weil in Wien auch Neonazis und Identitäre mitmarschiert sind. Nur: Mit den Identitären etwa, mit denen laut einem älteren Parteibeschluss zumindest offiziell nicht fraternisiert werden sollte, ist der Kickl-Teil der FPÖ sowieso ganz eng.

In der Regierungskoalition knirscht es derzeit kräftig

In der türkis-grünen Koalition knirscht es derzeit ganz gewaltig - aktueller Anlass sind unter anderem mehrere Abschiebungen gut integrierter Familien. Die ÖVP rechtfertigt sie auch deshalb gegen alle Widerstände so vehement, weil sie mit ihrem harten Asyl- und Flüchtlingskurs frustrierte und orientierungslose FPÖ-Wähler an sich binden will.

Allseits wird spekuliert, wie lange die Grünen das noch mitmachen und ob Kurz wieder nach rechts schielt, weil ihm die Ausländerpolitik der FPÖ näher ist als die der Grünen. Fliegende Koalitionswechsel werden diskutiert; der mächtige Sozialdemokrat und Wiener Bürgermeister Michael Ludwig kann sich Neuwahlen vorstellen. Kurz ist versierter Machtpolitiker; möglich, dass er die SPÖ als nächsten Juniorpartner in der Krise zu verschleißen gedenkt. Aber die FPÖ ist raus, sie ist, auch ohne Strache, unvermittelbar. Sie war und ist Sammelbecken der Verantwortungslosen, zerrissen zwischen Machtgier und Wut, einig nur in ihrer Unbelehrbarkeit.

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