Strafrecht:Was richtig bleibt

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Mord verjährt nicht, und deshalb haben NS-Prozesse wie jener in Neuruppin auch nach so langer Zeit ihren Sinn.

Kommentar von Joachim Käppner

Er war wohl der älteste Angeklagte aller NS-Prozesse, die Taten, um die es ging, sind 77 Jahre her: Hat es noch Sinn, wenn ein 101-jähriger Mann wegen Beihilfe zum Mord an Häftlingen und Kriegsgefangenen zu fünf Jahren Haft verurteilt wird? Dieses Urteil gegen einen früheren SS-Wachmann des Konzentrationslagers Sachsenhausen hat das Landgericht Neuruppin gefällt - und es hat einen Sinn.

Mord verjährt nicht und auch Beihilfe zum Mord nicht - dieses Prinzip wurde im Bundestag 1965 und 1979 gegen erbitterte Widerstände der vielen, die auch juristisch den "Schlussstrich" unter die Nazizeit ziehen wollten, mühsam durchgekämpft. Damals gab es nicht wenige Nazitäter, die gesucht wurden - sie alle wären durch eine Verjährungsregelung für Mord vor Strafe geschützt gewesen. Niemand hätte damals zwar angenommen, dass noch ein halbes Jahrhundert später deswegen Menschen auf der Anklagebank sitzen würden. Und doch ist es so, und solange sie verhandlungsfähig sind, müssen sie sich verantworten.

Seit einigen Jahren ist nicht mehr der Nachweis notwendig, dass der SS-Wachmann eines solchen Lagers persönlich jemanden getötet hat. Wer als Teil einer Vernichtungsmaschinerie arbeitete, deren Ziel der Tod von Millionen Menschen war, kann sich nicht darauf hinausreden, doch nur am Tor gestanden oder Tötungsbefehle abgetippt zu haben. Solche Menschen wissen, was sie tun und wem sie dienen, und ohne sie würden Mordregime und Diktaturen nicht funktionieren.

Hätten bundesdeutsche Gerichte dieses sehr richtige Prinzip schon in den ersten Jahrzehnten nach 1945 befolgt, wäre die Zahl angeklagter und verurteilter NS-Verbrecher um ein Vielfaches höher gewesen. Heute sind es nur noch einzelne und hochbetagte Angeklagte, die es trifft, aber: "Moral duties have no terms", hat Simon Wiesenthal gesagt, der viele Naziverbrecher vor Gericht brachte, moralische Pflichten haben keine Fristen.

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