Fall Lübcke:Wenn Worte wie Gift wirken

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Der Schuss auf Walter Lübcke kam nicht aus dem Nichts: Das Klima, in dem Hass und Militanz gedeihen, wird davon geprägt, wie Politiker und Bürger diskutieren.

Kommentar von Ferdos Forudastan

Ja, es wird noch dauern, bis die Umstände des Mordes an Walter Lübcke geklärt sind. Die Ermittler werden noch Zeit brauchen, um herauszufinden, ob der dringend Verdächtige Stephan E. den Kasseler Regierungspräsidenten tatsächlich erschossen hat, ob er Mittäter hatte, ob ein rechtsextremistisches Netzwerk hinter dem Verbrechen steckt. Verdichtet sich allerdings zur Gewissheit, was man heute für sehr wahrscheinlich halten muss, dann ist der Fall Lübcke ein weiterer bitterer Beleg dafür, dass dieses Land ein massives Problem mit dem Rechtsextremismus hat. Und er wirft ein grelles Licht darauf, welche Umstände ihn begünstigen.

Da ist natürlich die Tatsache, dass Behörden viel zu lange die Gefahr von rechts unterschätzten. Über Jahrzehnte war der Blick von Polizei und Geheimdiensten erst auf den gewaltbereiten Teil der Linken und später zusätzlich auf Islamisten außerordentlich scharf. Viel seltener und viel flüchtiger geriet der Rechtsextremismus ins Visier. Der tote Winkel ermöglichte es dem NSU, ungehindert zu morden. Er erleichterte Rassisten das Handwerk, Menschen mit ausländischen Wurzeln zu drangsalieren. Und er ermutigte möglicherweise auch Stephan E., einen Politiker zu töten, der sich für die großzügige Aufnahme von Flüchtlingen eingesetzt hatte.

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Man würde es sich freilich viel zu leicht machen, wollte man nur darauf schauen, wie Tun und Unterlassen der Sicherheitsbehörden sich auf Rechtsextremisten auswirken. Das Klima, in dem Hass und die Bereitschaft zur Militanz gedeihen, hängt nicht nur davon ab, wie Polizei und Geheimdienste agieren. Es wird auch davon geprägt, wie Politik und Gesellschaft diskutieren; ob sie heftig, aber fair für ihre Standpunkte streiten, oder ob sie in Schmähung, ja, Hetze abgleiten.

Schmähung und Hetze der übelsten Sorte

Was vor und nach seinem Tod besonders im Netz über Walter Lübcke geschrieben wurde, war vielfach genau das: Schmähung und Hetze der übelsten Sorte. Es waren Worte, die den mutmaßlichen Mörder des Regierungspräsidenten zumindest bestätigt, wenn nicht sogar motiviert haben dürften. Worte, die nicht ohne Folgen bleiben dürfen, deren Urheber, soweit möglich, ermittelt und zur Rechenschaft gezogen werden müssen.

Es ist gut, wenn nun auch viele Politiker den verrohten Diskurs scharf verurteilen. Für die Stimmung im Land tragen freilich alle miteinander Verantwortung - und Politiker insofern, als sie in ihrer Wortwahl Vorbilder sind, im Positiven wie im Negativen. Sie müssen ihre Worte besonders wägen - und zwar besonders bei den Themen Asyl und Migration. Müßig, dies Politikern der AfD zu sagen, deren Geschäftsmodell die Hetze ist. Aber was die Demokraten betrifft: Bitte nie mehr mit Blick auf die Situation an den Grenzen von der "Herrschaft des Unrechts" sprechen oder davon, "bis zur letzten Patrone" gegen illegale Migration kämpfen zu wollen, wie dies einst der CSU-Mann Horst Seehofer tat. Bitte nie mehr im Zusammenhang von Flüchtlingen über "Kontrollverlust" reden, wie einst sein Parteifreund Markus Söder.

Es gibt Bürger, die nehmen wörtlich, was mitunter nur gesagt wird, um im professionellen Streit die Deutungshoheit oder wenigstens die Aufmerksamkeit in den Medien oder der Partei zu bekommen. Es gibt User in den digitalen Netzwerken, die fühlen sich dadurch erst recht befeuert: Wenn der Politiker X sich in seiner Wortwahl vergreift, dann kann ich es doch auch. Und gar nicht von denen zu reden, denen es sowieso an Anstand, Sitte oder demokratischer Gesinnung mangelt. Sie alle fluten sodann das Netz. Und niemand möge sich wundern, dass dann kein Netzwerkdurchsetzungsgesetz und keine Löschabteilung bei Twitter und Facebook mehr hinterherkommt damit, all der vergiftenden Sätze Herr zu werden.

Das muss eine der Lehren aus dieser Tat sein: Sie kommt nicht aus dem Nichts. Sie gedeiht in einem Klima. Für dieses Klima sind zwar auch all die verantwortlich, die unter Pseudonym herumtwittern. Aber nicht nur sie.

© SZ vom 19.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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