Jerusalem:Hilferuf aus der Altstadt

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Künftig noch willkommen hier? Christen an der Grabeskirche in der Jerusalemer Altstadt. (Foto: Abir Sultan/dpa)

Die christlichen Konfessionen beklagen, jüdische Extremisten wollten sie vertreiben. Auch die Reaktion der Regierung zeigt, welchen Nerv die Auseinandersetzung trifft.

Kommentar von Peter Münch

Freudig ist die Weihnachtszeit nicht im Heiligen Land, denn das verflixte Virus wirft auch hier seinen langen Schatten auf das Fest. Schon im zweiten Jahr dürfen wegen der israelischen Einreisesperren keine ausländischen Pilger mehr nach Bethlehem. Die stille Nacht wird rund um die Geburtskirche Jesu wieder allzu still werden. Doch zur Freudlosigkeit kommt nun noch ein handfester Streit hinzu - und friedlich ist es damit auch nicht mehr zur Weihnachtszeit im Heiligen Land.

Auslöser des Streits ist ein Hilferuf, den man auch als Wutbrief lesen kann. Verfasst haben ihn die Vertreter aller 13 in Jerusalem vertretenen christlichen Konfessionen - vom Lateinischen bis zum Griechisch-Orthodoxen Patriarchen, von den Armeniern über die Syrer und Kopten bis zu den äthiopischen Christen. In seltener Einmütigkeit erheben sie Klage darüber, als christliche Minderheit im jüdischen Staat zunehmend bedrängt und verdrängt zu werden. Es gebe, so heißt es in der Erklärung, "einen systematischen Versuch, die christliche Gemeinschaft aus Jerusalem und anderen Teilen des Landes zu vertreiben".

Auf dieses ungewöhnlich deftige Schreiben hat Israels Regierung ungewöhnlich heftig reagiert. Die von den Kirchen vorgebrachten Klagen seien "unbegründet und verzerren die Realität", erklärte ein Sprecher des Außenministeriums und verwies auf die "volle Religions- und Kultusfreiheit in Jerusalem und ganz Israel". Den Kirchenführern warf er vor, dass derartige Veröffentlichungen viel Schaden anrichten und sogar zu Gewalt führen könnten.

Ordensleute berichten von unschönen Geschichten

Der gereizte Ton auf beiden Seiten zeigt, dass diese Auseinandersetzung einen höchst empfindlichen Nerv trifft - und diese Empfindlichkeit wird unter Pandemiebedingungen noch einmal geboostert. Denn der christlichen Gemeinschaft im Heiligen Land bricht ohne die üblichen Pilgerströme nicht nur die Haupteinnahmequelle weg, sondern auch ein Gemeinschaftsgefühl. Sie wird sichtbar zurückgeworfen auf ihre Realität als kleine Minderheit, und das verstärkt ein Gefühl der Schutzlosigkeit.

Wer mit Ordensleuten oder Priestern in Jerusalem spricht, hört seit Langem schon die immergleichen Geschichten davon, wie sie beim Gang durch die Altstadt beschimpft oder bespuckt werden. Die Liste von Vandalismus oder Brandstiftungen an christlichen Kirchen oder Klöstern wird von Jahr zu Jahr länger. Aus dieser Alltagserfahrung erwächst die von den Kirchenvertretern nun formulierte Angst, dass etwas unaufhaltsam ins Rutschen gerät im Heiligen Land.

Gewiss sind solche Übergriffe nicht der offiziellen israelischen Politik anzulasten. Die christlichen Vertreter machen in ihrer Erklärung dafür "radikale Randgruppen", also jüdische Extremisten verantwortlich. Auch Siedlerorganisationen gehören dazu, die teils durch Strohmänner im christlichen Viertel der Altstadt Häuser aufkaufen und damit die christliche Präsenz zurückdrängen wollen.

All das geschieht also gewissermaßen privat, aber es ist politisch. Die israelische Regierung muss sich dabei vorwerfen lassen, diesen Gruppen nicht entschieden genug Einhalt zu gebieten. Statt die Klagen der christlichen Vertreter pauschal als unbegründet zu verdammen, sollte sie deshalb darauf eingehen, was in deren Hilferuf gefordert wird: ein Dialog mit dem Ziel, den Christen im Heiligen Land langfristig Schutz zu gewähren.

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