Literatur:Ein Österreicher, der in Deutschland schlichten muss

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Josef Haslinger ist nun alleiniger Präsident des zerstrittenen Schriftstellerverbandes PEN.

Von Verena Mayer

Im Nachwende-Berlin gab es das Phänomen, dass sich Institutionen gerne Leute aus Österreich holten. Österreicher, so fand man damals, eigneten sich als Führungskräfte, weil sie in Bezug auf innerdeutsche Empfindlichkeiten neutral seien, die Ösis als Vermittler zwischen Ossis und Wessis gewissermaßen. Charme und Schmäh gab es bei dem Recruiting aus dem Alpenland noch dazu, eine Win-win-Situation also. Daran muss man denken, wenn man sich die neueste Personalentwicklung im Schriftstellerverband PEN ansieht.

Dort stehen sich die einzelnen Gruppen inzwischen unversöhnlicher als in jedem Ossi-Wessi-Konflikt gegenüber. Nachdem sich der Verband kürzlich gespalten hatte und zahlreiche Schriftstellerinnen und Schriftsteller in den neu gegründeten PEN Berlin abgewandert waren, hat nun auch die Co-Präsidentin des "alten" PEN, Maxi Obexer, hingeworfen. Die Gründe für ihren Rücktritt seien "die Feindseligkeiten, die Verhärtungen, die Verunglimpfungen. Das Denken in Lagern", wie sie in einer E-Mail an die Mitglieder schrieb. "Es herrscht noch immer Krieg in den Köpfen vieler."

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Frieden zu schaffen, das ist nun die Aufgabe des verbleibenden Co-Präsidenten, des Schriftstellers Josef Haslinger. Der bringt schon mal eine idealtypische österreichische Biografie mit. Haslinger wurde 1955 im niederösterreichischen Zwettl geboren und hat sich zeit seines Lebens kritisch mit der gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit seiner Heimat auseinandergesetzt. Schon in seiner Novelle "Der Tod des Kleinhäuslers Ignaz Hajek", in der er 1985 die Trostlosigkeit einer bäuerlichen Existenz beschrieb, findet sich die hyperrealistische Schonungslosigkeit, für die er bekannt wurde. Eine größere (und damit auch die bundesdeutsche) Öffentlichkeit wurde auf ihn aufmerksam, als er 1995 im Politthriller "Opernball" rechtsradikalen Terror zum Thema machte. 2020 verarbeitete er in dem Roman "Mein Fall" sexualisierte Gewalt, die er als Kind von einem Zisterzienserpater erfahren hatte, und stieß damit die Debatte um Missbrauch in der katholischen Kirche neu an.

Er leitete schon mal einen Verband in der Heimat

Und Haslinger hat Erfahrung mit der Leitung von Institutionen, insbesondere Schriftstellerverbänden. In den Achtzigerjahren war er Generalsekretär der Grazer Autorenversammlung, des größten österreichischen Schriftstellerverbandes, der sich als progressive Gegenbewegung zum eher konservativen österreichischen PEN formiert hatte. Dort ging es auch oft heiß her. Den einen war die Autorenversammlung zu politisch, den anderen zu unpolitisch, es gab jede Menge Austritte und unqualifizierte Querschüsse der Kollegen, Thomas Bernhard nannte die Grazer Autorenversammlung einmal "eine Versammlung untalentierter Arschlöcher".

Von 1996 bis 2021 war Haslinger Professor am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig, das er zeitweise auch geleitet hat. Was von ihm als PEN-Präsident erwartet wird, hat er vor einem Monat in einem Interview mit der Berliner Zeitung beschrieben. Einen "schnellen Neustart hinkriegen" nämlich, dazu wolle er "möglichst viel Überzeugungsarbeit leisten" und "versuchen, eine neue, offene Atmosphäre zu schaffen, in der viele Mitglieder bereit sind, zu diesem Verein etwas beizutragen". Haslingers Sätze klingen diplomatisch wie die eines Business-Coachs, der in einen zerstrittenen Betrieb gerufen wird.

In die Schlagzeilen war das deutsche PEN-Zentrum gekommen, weil sein Ex-Präsident Deniz Yücel es mit einer "Bratwurstbude" verglichen hatte. Haslinger sagte in dem Interview, er verstehe, dass damit "eine gewisse Unbeweglichkeit in Bezug auf neue Entwicklungen" gemeint sei, der "Versuch, alte Heimeligkeiten zu wahren". Er tue sich aber schwer "mit der Zuordnung dieses starken Bildes für den PEN". Vielleicht wünscht er sich auch einfach nur, dass beim PEN demnächst die lockere Atmosphäre eines österreichischen Würstelstandes herrscht.

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