Zum Weltfrauentag:Bitte mal brachial

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Und wenn sie mal Chefin werden will? In der Montage eines Ventilatoren-Herstellers in Mulfingen bei Heilbronn. (Foto: Christoph Schmidt/picture alliance/dpa)

Noch immer, noch immer, noch immer: Frauen erhalten weniger Gehalt als Männer. Also muss man sie fördern? Vor allem muss Schluss sein mit der Vorstellung, was angeblich unweiblich ist.

Kommentar von Angelika Slavik

Es ist Zeit für das alljährliche Klageritual. Der Equal Pay Day und der Weltfrauentag läuten die Woche ein, und wie immer ist das der Anlass für die große Was-noch-immer-nicht-erreicht-ist-Liste. Noch immer erhalten Frauen weniger Geld als Männer, noch immer ist die gläserne Decke nicht durchstoßen, noch immer haben viele Konzerne eine lächerliche Frauenquote in Führungspositionen. Noch immer, noch immer, noch immer. Das ist wahnsinnig nervig - besonders weil es eben auch jedes Jahr stimmt.

Die Lage ist schlecht, das kann man nicht anders sagen. Die Gehaltsdifferenz zwischen Frauen und Männern wird nur quälend langsam kleiner, zudem hat die Pandemie in vielen Familien tradierte Rollenmuster wiederbelebt: Den größten Teil der Zusatzbelastung durch das Coronavirus stemmen die Frauen, oft zum Nachteil ihrer beruflichen Ambitionen, wie zahlreiche Studien nahelegen. Aber auch ohne den Pandemiefaktor muss man die Frage stellen, ob die klassischen Rezepte für mehr Gleichberechtigung ihre Grenzen erreicht haben. Klar, die Kinderbetreuung muss weiter verbessert werden, und klar, Mentoring-Programme und Frauennetzwerke sind eine gute Sache. Aber seit 2006 ist der Gehaltsunterschied zwischen den Geschlechtern von 23 Prozent auf 18 Prozent gesunken. Das ist kein Fortschritt, das ist erbärmlich.

Wenn man also fragt, was man sonst noch tun kann, muss man auf andere Parameter schauen, die gleicher Bezahlung für gleiche Arbeit einerseits und dem Aufstieg von Frauen in höhere Gehaltsklassen andererseits entgegenstehen könnten. Dann landet man zum Beispiel bei der Vorstellung davon, wie Frauen zu sein haben und wie nicht. Ein Bild, das in der Gesellschaft schmerzhaft tief verankert ist.

Als ob es darum ginge, einem blinden, dreibeinigen Welpen ins Leben zu helfen!

Es gibt wahrscheinlich kaum eine Frau, die das nicht kennt: Dieser beseelte Blick des männlichen Vorgesetzten auf den nassforschen Kollegen - du erinnerst mich an mich, Junge! -, während man sich selbst anhören darf, man könne übrigens ruhig ein bisschen diplomatischer werden: Nicht immer so zickig, Frau Kollegin!

Das ist mehr als nur ein Ärgernis, es ist ein Symptom dafür, wie schwer sich die Gesellschaft immer noch tut, auch Machtanspruch als legitimen Teil von Weiblichkeit zu akzeptieren. Das sieht man keineswegs nur bei ignoranten Patriarchen (gut, bei denen auch), sondern auch bei Menschen und Initiativen mit den besten Absichten: Viele bemühen sich heute um Frauenförderung, aber das Gros dieser Programme geht das Problem mit einer Haltung an, als müsste man einem blinden, dreibeinigen Dalmatinerwelpen irgendwie ins Leben helfen. Es geht ständig ums Hürdensenken und ums Ängste-Abbauen, man kann jetzt Führungsjobs teilen und Abendtermine auslassen. Alles dreht sich um weniger Stress und weniger Verantwortung. Das ist nett gemeint.

Aber ergänzend sollte sich endlich der Gedanke etablieren, dass Frauen auch gierig und machtbewusst sein können, brachial und gnadenlos. Das gilt für alle: Für jene, die entscheiden, wen sie befördern, und für Frauen, die über das Ausmaß ihrer beruflichen Ambition nachdenken. Dass es nicht unverschämt und nicht unweiblich ist, offensiv mehr Geld zu verlangen, sollte 2022 eine Selbstverständlichkeit sein. Sich selbst bewusst zu machen, dass man es dennoch anders verinnerlicht hat, ist der erste Schritt zur Überwindung solcher Muster. Vielleicht kann man sich das Klageritual dann irgendwann tatsächlich sparen.

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