Längst hat sich die aktuelle französische Streikbewegung vom Anlass ihres Entstehens, der von Präsident Macron vorgeschlagenen Rentenreform, entfernt. Zwar können mittlerweile alle in Frankreich lebenden Erwachsenen, die die vergangenen Monate nicht im Koma oder auf Droge verbracht haben, Details der Sache herunterbeten, aber der Sinn des Widerstands erschöpft sich nicht in der Beibehaltung des frühen Renteneintrittsalters. Es ist kaum vorstellbar, dass beispielsweise Schülerinnen und Schüler wegen eines etwas längeren Berufslebens heute schon derartig wütend werden und laut den Zukunftsraub beklagen. Was bringt eine gestandene Lehrerin dazu, mit Emphase "Zerschlagt die Hütte!" zu rufen, wo ihr persönlich eine frühere Rente wegen der Belastungen des Berufs sicher sein dürfte? Es handelt sich hier also nicht um einen klassischen Arbeitskampf, auch nicht um Proteste gegen Aspekte der Sozialpolitik, sondern um einen grundsätzlicheren Aufstand gegen die Relativierung sozialstaatlicher Errungenschaften, für eine gerechtere Finanzierung staatlicher Leistungen und eine Neuverteilung der Lasten zwischen Kapital und Arbeit.
Frankreich:Die Menschen streiken für mehr Gerechtigkeit
Schon im Februar protestierten Studierende in Paris gegen Macron - und alle Gutverdiener. Auch in den kommenden Tagen wird es wieder Streiks geben.
(Foto: BENOIT TESSIER/REUTERS)Die Proteste richten sich gegen weit mehr als die ungeliebte Rentenreform von Präsident Macron. Sie spiegeln die grundlegende Unzufriedenheit mit der Lastenverteilung im Land wider.
Kommentar von Nils Minkmar
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