Nachdem sie ihre Lockdown-Beschlüsse erklärt hatte, sagte die Kanzlerin noch etwas zu ihrem künftigen Regierungsstil. In Zukunft sollen Lockerungen oder Verschärfungen der Pandemiemaßnahmen nicht mehr von Konsensentscheidungen der Bundesländer abhängig sein, sondern von der konkreten Zahl ihrer Neuinfektionen. Wer eine "stabile" Sieben-Tage-Inzidenz von 35 vorweist, darf beginnen, Geschäfte zu öffnen. Wer über 50 liegt, soll wieder schließen. Dieses neue Gewicht der Zahlen sei "stilbildend", sagte Angela Merkel. Und ob.
Nach vielen Wochen des Ausharrens ist die Bevölkerung mit einer Phase der Pandemie konfrontiert, die sich für Regierende nur noch schwer kommunizieren lässt. Denn während sie früher versprachen, dass niedrige Zahlen zur Besserung führen würden, müssten sie heute - angesichts der Gefahr neuer Virusvarianten - sagen: Dass die Zahlen sinken, muss überhaupt nichts heißen. Für die Motivation der Menschen, die sich nach einer Perspektive sehnen, wäre das ein Tiefschlag.
Die neue Strategie, Zahlen und Maßnahmen zu koppeln, erscheint dabei geschickt. Sie gibt Hoffnung, dass sich das Leben wieder ändern kann. Und zugleich bildet sie schon jetzt die Argumentationsgrundlage für einen andauernden Lockdown, wenn die Mutanten die Infektionen doch beschleunigen. Der Preis dieses neuen Stils könnte aber eine Rückkehr zu Neiddebatten zwischen den Bundesländern sein. Debatten à la Beherbergungsverbot, wie sie den Herbst bestimmten. Es wäre ein hoher Preis, der Vertrauen kostet.