Pandemie:Datenloch Deutschland

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In Deutschland wird die Lage auf den Intensivstationen tagesaktuell erfasst. (Foto: Jens Büttner/dpa)

Die Behörden haben nicht genug Zahlen erhoben, um die Corona-Maßnahmen sicher überprüfen zu können. Klar, das ist ein Skandal. Aber wahr ist auch: Das größte Dilemma lässt sich auch mit Zahlen und Statistiken nicht lösen.

Kommentar von Christina Berndt

Mitten in Deutschland tut sich ein gigantisches Datenloch auf. Diesen Vorwurf hört man häufig, und er ist noch einmal lauter geworden, seit der Corona-Sachverständigenausschuss moniert hat, es fehle an Daten, um den Nutzen vieler Maßnahmen valide bewerten zu können. Grundsätzlich stimmt dieser Vorwurf auch: Das Datenloch hat pandemische Ausmaße, und das ist ein Skandal.

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Insgesamt haben die Behörden in der Pandemie viel zu wenig getan, um die virale Lage im Land zu erfassen und daraus zu lernen. Wie viele Menschen stecken sich gerade an? Für wie viele ist es schon die zweite, gar dritte Infektion - und was macht das mit ihnen? Wie viele haben Long Covid? Warum gerade sie? Selbst beim Impfen tut sich ein Krater auf. Ob die vierte Impfung schon zwischen 60 und 70 Jahren anzuraten ist? Mit eigenen Daten wird man das in Deutschland nie entscheiden können, denn Impfungen werden nur in groben Altersgruppen erfasst und selbst das nur lückenhaft. Zuletzt sei es leider "zu einer auffälligen Häufung von unplausiblen Impfangaben" gekommen, heißt es im Impfbericht des Robert-Koch-Instituts. Das alles sind schwere Versäumnisse der Behörden im Land.

Natürlich lässt sich trotz allem etwas über das Corona-Management sagen

Aber bei allem Ärger über fehlende Daten: Es ist nicht so, dass es keine Daten gibt, und die Lücken bedeuten nicht, dass man über die Qualität des Corona-Managements gar nichts sagen kann. Manche Daten wie die Bettenbelegung in Kliniken gibt es, sie müssten nur zusammengeführt werden. Vieles wurde auch nachgebessert. So wird die Lage auf den Intensivstationen tagesaktuell erfasst. Auch wird erhoben, welche Patienten tatsächlich wegen Covid-19 im Spital sind und bei welchen Corona nur ein Nebenbefund ist.

Manche Daten lassen sich auch einfach nicht erheben. Vollmundig werden derzeit randomisierte kontrollierte Studien gefordert, weil diese doch der Goldstandard zur Bewertung von medizinischen Eingriffen seien. Es ist schon richtig, dass solche Studien, bei denen zwei Gruppen miteinander verglichen werden, von denen nur eine "behandelt" wird, extrem wertvoll sind. Aber in einer Pandemie funktioniert das nur bedingt. Man kann nicht in Erding die Läden schließen und sie in Freising offen lassen, um am Ende zu schauen, wo mehr Menschen gestorben sind. Es wäre bar jeder Ethik.

Stets werden Unsicherheiten bleiben

Trotz aller Beschränkungen steht man aber nicht blank da. Es gibt andere Wege, gute Daten zu generieren, die so oft diskreditierten mathematischen Analysen gehören dazu. Und auch wenn es traurig ist, dass deutsche Experten häufig ins Ausland schielen müssen: Der Blick auf die dortigen Erfahrungen hilft. Es ist ja nicht so, dass Masken hierzulande grundsätzlich andere Effekte hätten als anderswo. So erlauben internationale Gegenüberstellungen von Todeszahlen mit den jeweils ergriffenen Maßnahmen valide Schlüsse. Und sie zeigen, dass die meisten Maßnahmen sehr effizient waren.

Bei aller Diskussion über Daten muss aber jedem klar sein, dass ein Dilemma ungelöst bleiben wird: An jedem Punkt in der Pandemie müssen Regierungen neu entscheiden, was sie tun. Dabei können sie sich nur zum Teil auf frühere Erfahrungen verlassen, denn jede Welle ist anders, weil sich das Virus wandelt und mit ihm Impf- und Immunstatus der Bevölkerung. Entscheidungen müssen deshalb immer wieder getroffen werden, ohne dass glasharte Evidenz für ihren Nutzen vorliegt, Unsicherheiten werden bleiben. Die Notwendigkeit, sie durch eine kluge Datenanalyse so klein wie möglich zu halten, aber auch.

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