Am 23. August ereigneten sich zwei außergewöhnliche Dinge in der Talkshow von Markus Lanz. Erstens war es außergewöhnlich, dass etwas Außergewöhnliches geschah, im ZDF bei Markus Lanz. Und zweitens saß da als Gast Jan Böhmermann, ebenfalls ZDF-Moderator, und sagte über seine eigene Sendung: "Die Quote ist völlig irrelevant."
Das hat man so von einem Fernsehmann nur selten gehört, und auch wenn Böhmermann die Aussage sofort ironisch überdrehte, hatte sie gewiss einen wahren Kern. Böhmermanns Sendung Roche und Böhmermann nämlich ist ein Paradebeispiel für eine TV-Produktion, deren Fans im Internet sind. Und die im Internet gucken. Und eben nicht mehr vor dem Fernseher, schon gar nicht, wenn eine Sendung, wie die von Böhmermann, auf ZDF Kultur (Fernbedienung Platz 43) versteckt ist. Es ist also verständlich, dass sich der Moderator lieber an den Abrufzahlen seiner Sendung im Internet orientiert. Auch Diana Löbl und Peter Onneken, Macher des aufsehenerregenden HR-Beitrags über die Machenschaften des Versandhandels Amazon, dürfen sich über extrem gute Online-Zahlen freuen. Ihr Video wurde im Netz 1,7 Millionen Mal alleine auf der offiziellen ARD-Seite angeguckt.
Dort ist es eines von vielen. Bei der ARD gibt es von allen Anstalten und den Radios zusammen circa 100.000 Beiträge anzuschauen und zu hören. Bis zu 40.000 Sendungen hat das ZDF online abrufbar gemacht. Die Beiträge bleiben bis zu fünf Jahre im Netz, manchmal auch nur für 24 Stunden, je nach den Bestimmungen des Rundfunkstaatsvertrags und den Rechten an den einzelnen Sendungen.
Auch die privaten Sender setzen mehr und mehr auf Zuschauer im Netz. Und Fans der Sendungen laden die Videos noch auf anderen Plattformen hoch, zum Beispiel Youtube.
Quote im Netz wird nicht gemessen
Das alles führt dazu, dass Fernsehsendungen viel öfter gesehen werden, als es ihre eigentlichen Quoten verkünden, die seit Jahren mit einem komplexen System von der Gesellschaft für Konsumforschung (GFK) gemessen werden. Wer aber misst, wie oft die Beiträge im Netz geschaut werden? Bislang niemand, es gibt lediglich die schlichten Abrufzahlen der Portale.
Das bedeutet auch, dass die Sendungen in den Sendern bislang vor allem nach ihrer Quote bewertet werden, aber nicht nach ihrem Erfolg im Netz. Wenn plötzlich die Abrufe aus dem Netz dazukommen, könnte das zu einer Verschiebung zugunsten der jüngeren Formate führen, vor allem in Hinsicht auf die Sendeplätze. Ob das allen wichtigen Menschen in den Sendern gefallen würde? Und ob es den GFK-Mitarbeitern gefallen würde, die derzeit mit der Erhebung der Fernsehquoten die harte Währung des TV-Geschäfts kontrollieren?
Tatsache ist jedenfalls, dass es sehr lange dauert, bis die Messung von Sendungen im Netz überhaupt beginnt. Bis zur Jahreshälfte 2013 solle es soweit sein, heißt es bei der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF), die die GFK mit der Quotenmessung beauftragt. Ob sie denselben Dienstleister auch um die Messung der Abrufzahlen im Netz bittet, ist bislang unklar. Sicher ist dagegen, dass man das neue Angebot nicht nur für Fernsehsender schaffen möchte.
Messung für Handy und Tablet erst 2014
Messen will die AGF auch Zahlen von Internetangeboten wie etwa Spiegel.de oder Süddeutsche.de, Nachrichtenportale also, auf denen Bewegtbilder gesendet werden. Und sicher ist leider auch, dass man es im ersten Schritt nicht schaffen wird, auch Nutzer in die Messung einzubeziehen, die auf ihrem Handy oder Tablet-Computer Sendungen gucken. Das ist erst für 2014 geplant.
Bis dahin liegen den Sendern nur einfache Klickzahlen vor, falls überhaupt. Und die unterscheiden sich deutlich von einer sinnvollen Messung, denn sie sagen im besten Fall zwar aus, wie viele Menschen auf den Abspiel-Knopf eines Videos gedrückt haben, aber nicht, wenn der Zuschauer auf den Stopp-Knopf gedrückt oder das Browserfenster geschlossen hat. Das ist, als würde man die Quote einer Sendung in den ersten Sekunden ihrer Ausstrahlung abfragen und nicht berücksichtigen, wann die Zuschauer aussteigen und wie viele bis zum Schluss vor der Mattscheibe sitzen.
So sind die Abrufzahlen bislang vor allem für Reporter und Zuschauer interessant. Johannes Hano, ZDF-Korrespondent in China, freut sich auf Twitter über die Klicks für eines seiner ZDF-Videos. Darin ist zu sehen, wie chinesische Sicherheitskräfte einen Interviewpartner Hanos vor laufender Kamera verschleppen. Früher geschah so etwas undokumentiert. Mehr als 220.000 Mal wurde das Video schon angeklickt, fast nur von Chinesen. Es ist weniger eine Zahl für die Statistik als eine Ziffernfolge der Hoffnung.