Zensur in Weißrussland:Album aus der politischen Wirklichkeit

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Absichtlich entstellende Darstellung? Pressefoto mit Soldaten in Minsk bei den Abendnachrichten aus dem Staatsfernsehen. (Foto: Syarhey Gudzilin)

"Extremistisch" seien die Bilder, sie würden die Bürger beleidigen und den Ruf der Behörden beschädigen: Mit diesen Begründungen geht die Regierung in Weißrussland gegen die Veröffentlichung der Pressefotos des Jahres vor.

Von Frank Nienhuysen

Etwa vierzig Männer sitzen in einem Raum, sie tragen olivgrüne Unterhemden, ihre Köpfe sind kahl geschoren, und sie schauen auf einen Fernseher, der die staatlichen Abendnachrichten überträgt. An der Stirnseite des Raums hängt ein Porträt von Präsident Alexander Lukaschenko. Die Soldaten tun ihre Pflicht. Um 21 Uhr das Informationsprogramm Panorama zu schauen, gilt als Beitrag zur ideologischen Erziehung im Land.

Der Fotograf Syarhey Gudzilin hat diesen Moment eingefangen, und er ziert die Titelseite des weißrussischen Jahresbuchs der Pressefotos 2011. Ist das nur Ästhetik? Kunst? Oder schon Politik? Unterschwellige Kritik am autoritären Regime?

Julia Daraschkewitsch glaubt die Antwort zu kennen, zumindest die der Macht. "Ich glaube, das Jahresalbum wird vernichtet. Ich glaube nicht an Gerechtigkeit."

Daraschkewitsch ist weißrussische Fotografin und Organisatorin des Wettbewerbs für das Pressefoto des Jahres. In der kommenden Woche muss sie vor Gericht erscheinen. Vor ein paar Monaten hatten die Behörden von ihr 41 Exemplare der Ausgabe beschlagnahmt. Beamte gaben das Buch mit den prämierten Pressefotos an den weißrussischen Geheimdienst KGB weiter. Eine Kommission, der drei Universitätsprofessoren angehören, stufte das Jahrbuch dann als "extremistisch" ein. Es wolle "die nationale Ehre und Würde der Bürger beleidigen". Es enthalte "absichtlich entstellende, falsche Deutungen über das Leben in Weißrussland" - und es beschädige den Ruf der Behörden und unterhöhle das Vertrauen anderer Länder in sie.

Die Pressefotos wurden in acht Sparten unterteilt, Sport ist darunter, Natur, Traditionen. Das Misstrauen der Behörden aber haben offensichtlich jene Aufnahmen geweckt, in denen der Staat eine Rolle spielt: Die einer Frau etwa, die am Tag nach der Präsidentenwahl ihr Gesicht an die Scheibe eines Polizeibusses presst, in dem ein festgenommener Verwandter sitzt. Vom Aufmarsch und Einsatz der Sicherheitskräfte, die gegen die protestierende Bevölkerung vorgehen. Damals Ende 2010, als Präsident Lukaschenko nach seiner Wiederwahl fast alle Gegenkandidaten und Hunderte von deren Anhängern festnehmen ließ.

Daraschkewitsch sagt, "es ist doch verständlich, dass viele Fotos sich mit den Ereignissen rund um die Wahl beschäftigen, mit dem Druck, der ausgeübt wurde. Ihnen den Spiegel vorzuhalten, gefällt ihnen nicht". Und so ist die Kunst in Weißrussland in vielem politisch. "Es gibt eine Unterscheidung zwischen dem offiziell Erlaubten und dem Teil, der im Untergrund existiert", sagt Daraschkewitsch. Es sei schwer geworden, etwa für Ausstellungen eine Galerie zu finden. Oder für das Jahrbuch einen heimischen Verlag.

"Vielleicht können wir das nächste Jahrbuch nur noch im Ausland verkaufen", sagt sie, falls das Gericht die Extremismus-Einschätzung des KGB teilt und die Exemplare eingestampft werden. Sie sagt, "ich vermute, sie haben es ohnehin schon getan".

© SZ vom 16.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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