W&V: Mercedes Bunz im Gespräch:"Die britische Kultur ist experimentierfreudiger"

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Viele Verlage wissen nicht, wie sie die Digitalisierung nutzen können, beklagt Mercedes Bunz. Dabei biete das Ausland gute Vorbilder.

Franz Scheele

Mercedes Bunz bringt langjährige Erfahrungen aus deutschen und inzwischen auch britischen Medien mit. Die 38-Jährige Journalistin war unter anderem Online-Chefredakteurin des Tagesspiegel, zuletzt war sie für den Guardian in London tätig. Momentan schreibt sie ein Buch darüber, wie der zunehmende Gebrauch von Algorithmen unsere Gesellschaft verändert.

Die Journalistin Mercedes Bunz im Gespräch über die Chancen der Digitalisierung. (Foto: N/A)

W&V: Frau Bunz, die Printhäuser in Großbritannien und Deutschland stehen bei ihrem Digitalgeschäft vor ähnlichen Herausforderungen. Gibt es dennoch Unterschiede,wie in beiden Ländern die Probleme angegangen werden?

Bunz: Schon innerhalb Großbritanniens gibt es ja sehr unterschiedliche Ansätze. London ist derzeit sicherlich das interessanteste Experimentierfeld für die Zukunft des Journalismus. Die Times beispielsweise setzt bei ihrem Online-Auftritt auf eine Paywall, der Guardian und die Daily Mail haben sich klar gegen eine solche Strategie ausgesprochen. Beide verfolgen dabei aber unterschiedliche Strategien. So hat der Guardian ein integriertes Redaktionsmodell, das heißt, Print- und Online-Redaktion sind nicht voneinander getrennt. Dieses Modell verfolgen fast alle britischen Zeitungen, bis auf die Daily Mail. Sie hat eine kleine, eigenständige Online-Redaktion, die gerade aufgestockt worden ist - und inzwischen sogar schwarze Zahlen schreibt.

W&V: Sind die britischen Verlage experimentierfreudiger?

Bunz: Ich denke ja, einfach weil die britische Kultur insgesamt experimentierfreudiger ist. In Deutschland wird gern lange getestet, wir kommen aus einer Ingenieurs-Kultur. Da bereitet das Internet ein Problem, denn das Internet ist eine dynamische, eher experimentelle Technologie. Zum anderen wirken hier auch international unterschiedliche Kräfte: Der US-Amerikaner Rupert Murdoch etwa ist entschlossen, das amerikanische Paid-Content-Modell seines erfolgreichen Wall Street Journals auf Großbritannien zu übertragen.

W&V: Englischsprachige Websites haben den Vorteil, dass sie auch von vielen Menschen im Ausland genutzt werden. Dies gilt für deutschsprachige Websites nur bedingt.

Bunz: In Deutschland muss man sich eine andere Strategie überlegen, beispielsweise gezielt in die Tiefe gehen, ein Fein-Tuning betreiben, weitere potenzielle User eruieren und sie anders ansprechen.

W&V: Was meinen Sie damit?

Bunz: Die Digitalisierung gibt den Verlagen die Chance, sich genauer auf ihre Leser einzustellen, sie in ihren verschiedenen Lebenssituationen zu begleiten. Das Internet ist dabei, den Computer zu verlassen, es begleitet uns von nun an mobil über das Smartphone oder das iPad überall. Wir stehen vor etwas grundsätzlich Neuem.

W&V: Was bedeutet das konkret für die Verlage?

Bunz: Mobile User interessiert nicht allein, welche News es gerade gibt, sondern sie wollen auch unterhalten werden oder zu bestimmten Themen Hintergrund-Informationen erhalten, etwa in den Bereichen Gesundheit oder Wissen. Das ist etwas, was von News-Websites oft einfach verschenkt wird. Fein-Tuning heißt hier: Verlage müssen lernen, das in ihren Häusern produzierte Wissen besser entlang des Nutzerbedürfnisses zu kuratieren. Nachrichten-Organisationen müssen sich darauf einstellen, dass sie nicht mehr nur News-Organisationen sind, sondern auch Wissens- und Informations-und Unterhaltungs-Organisationen.

W&V: Gibt es schon Ansätze für solche Angebote?

Bunz: Wir stehen tatsächlich noch am Anfang einer neuen Entwicklung. iPhone und iPad setzen sich ja gerade erst durch. Es gibt aber bereits Applikationen, die einen nicht lediglich mit News versorgen, sondern nachhaltiges Lesen fördern. In den USA gibt es beispielsweise die iPhone-App des kleinen Verlags McSweeney's. Er schickt einem jeden Tag einen kleinen Artikel und einmal die Woche eine längere Kurzgeschichte. Ich habe sie heruntergeladen, weil ich die Texte des Verlags mag, und aus Recherchegründen neugierig war - wie gehen Buchverlage in die digitale Zukunft? Aber mit einem Mal hatte ich eine fabelhafte App auf dem Telefon, in der ich immer las, wenn ich mich in einer Wartesituation befand.

W&V: Um auf Ihre Erfahrungen in Deutschland zurückzukommen. Gibt es Fehler, die hier immer wieder gemacht werden?

Bunz: Ich weiß nicht, ob man von Fehlern sprechen sollte. Die Veränderungen, die wir durch die Digitalisierung erleben, sind durchaus mit jenen der Industrialisierung zu vergleichen. Da ist es verständlich, dass sich viele Verlage bei der Neuorientierung schwertun. Ein Manko in Deutschland ist allerdings, dass in vielen Printhäusern keine Vision entwickelt wird.

W&V: Welcher Verlag hat denn eine Vision?

Bunz: Die Redaktion, die am besten verstanden hat, wo die Herausforderungen liegen, ist die New York Times. Auf Verlagsebene hat sie erkannt, dass sie nicht mehr nur im Verlags-Business ist, sondern dass sie sich zur Technologie-Firma gewandelt hat. Die New York Times begreift sich als "Multi-Platform-Publisher" und besetzt gezielt die neuen Möglichkeiten. Konsequenterweise haben sie deshalb auch eine Research- und Development-Abteilung aufgebaut, die aus zwölf Leuten besteht. Man erforscht die Zukunft der Informationsmöglichkeiten - und des Lesens. Und die Redaktion zieht mit. So wird täglich um ein Uhr mittags eine geschnittene Version der Redaktionskonferenz als Videocast ins Netz gestellt, und einzelne Redakteure erklären dem Leser, warum man bestimmte Nachrichten für wichtig hält und auf welche Information man sich in der Berichterstattung konzentrieren wird. Das ist eben nicht die Haltung wie in vielen anderen Verlagen, in denen die kleinen Lokalredakteure mal mit ihrer Kamera zu einem Termin geschickt werden.

W&V: Ist die New York Times ein Technologie-Unternehmen?

Bunz: Genau. Prinzipiell ist das ja nichts Neues. Ein Chefredakteur, der früher nicht mit dem Geschäftsführer seiner Druckerei reden konnte, war ja auch kein richtiger Chefredakteur. Der heutige Chefredakteur und der heutige Verlagsleiter müssen entsprechend ein Wissen darüber haben, wie digitale Daten verbreitet werden können. Das gehört zum Handwerk. Um überleben zu können, müssen die Verlage ihre Daten über so viele Orte wie möglich ausspielen. Die Verlage müssen die technischen Chancen nur wirklich begreifen.

© W&V 30/2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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