Manchmal kann man Vertrauen im Journalismus in Minuten bemessen. Als die Tratsch-Website TMZ in der vergangenen Woche um 7.28 Uhr amerikanischer Westküstenzeit die Trennung des Schauspielerpaares Brad Pitt und Angelina Jolie vermeldete, betrug das Vertrauen von CNN 27 Minuten. So lange dauerte es, bis auch der Fernsehsender über Twitter die Geschichte verbreitete. Bei einem sympathischeren Medienunternehmen als TMZ wäre das vermutlich deutlich schneller gegangen. CNN suchte lieber erst eine eigene Quelle - und ließ TMZ dann auch gänzlich unerwähnt.
Seit beinahe elf Jahren landet das Klatschportal einen Scoop nach dem anderen. TMZ berichtete als erstes Medium über die Scheidung von Britney Spears, über rassistische Entgleisungen des Schauspielers Mel Gibson, darüber, dass Rihanna von ihrem damaligen Partner Chris Brown geschlagen wurde, über den Tod der Schauspieler Britanny Murphy und Heath Ledger sowie über den des Sängers Prince. Als TMZ am 25. Juni 2009 als weltweit erstes Medium den Tod von Michael Jackson vermeldete, waren gerade mal 18 Minuten vergangen, seit Ärzte im Ronald Reagan Medical Center in LA die Wiederbelebungsversuche eingestellt hatten.
Trennung von Jolie und Pitt:Die Wühler und die Weisen im Fall Brangelina
Ist Jolie schon ausgezogen? Ermittelt die Bundesbehörde FBI gegen Pitt? Zahlreiche Gerüchte ranken sich um diese Scheidung. Das liegt auch daran, dass Hollywood ein großes Dorf ist.
In den vergangenen Tagen war TMZ mal wieder auf der Höhe seiner Kunst: Zur anstehenden Scheidung von Brad Pitt und Angelina Jolie und den angeblichen Trennungsursachen (Drogen? Misshandlung? FBI?) konnten sich die meisten Medien, Vertrauen hin oder her, zuletzt einmal mehr zunächst nur auf TMZ berufen. An diesem Montag wusste die Seite über die Inhalte des Ehevertrags zu berichten.
Zwar mag nicht alles, was TMZ - kurz für "Thirty Mile Zone", die Gegend um die Filmstudios in Hollywood - als Nachrichten in die Welt hinausbläst, für traditionellere Medienhäuser berichtenswert sein. Aber die Seite gehört zu den meistzitierten Medien der Welt - und das obwohl Nachrichtenagenturen, Zeitungen und Fernsehsender häufig zögern, Meldungen der Seite zu übernehmen.
"In der Welt, über die wir berichten, sind wir so etwas wie Associated Press"
Das Magazin New Yorker hat erst im Frühjahr ausführlich über die Recherchemethoden der Seite berichtet, das heißt konkret: über die gezahlten Honorare. Hier ein paar Dollar für eine Friseurin, die etwas über eine Schauspielerin zu berichten wusste, dort ein paar Dollar für einen Hotelangestellten. Die TMZ-Mitarbeiter sollen auch jedes Mal benachrichtigt werden, wenn ein Promi mit Delta Airlines im Anflug auf Los Angeles ist, natürlich auch gegen Geld. Für besonders gute Geschichten ist das Honorar dementsprechend höher: Ein Video, auf dem zu sehen ist, wie die Schwester der Sängerin Beyoncé in einem Fahrstuhl deren Ehemann Jay-Z attackierte, soll die Seite angeblich für 250 000 Dollar gekauft haben.
Die Society of Professional Journalists, die älteste Journalistenvereinigung der USA, verurteilt diesen sogenannten "Scheckbuch-Journalismus": Man wisse nie, ob ein Informant seine Geschichte nicht vielleicht aufbläst, um mehr Geld rauszuhandeln, heißt es in einem Positionspapier. Das ist auch der Grund, warum TMZ, das zum Time-Warner-Konzern gehört, in der Branche nach wie vor nicht den besten Ruf hat. TMZ-Chef Harvey Levin hingegen findet nichts dabei. "Wir machen Geld mit diesen Geschichten. Warum sollten unsere Quellen dann nicht nach Geld fragen?", verteidigte er sich im Sommer bei einer Medienkonferenz.
Levin ist 66 Jahre alt und bis heute nicht nur der Chef, sondern auch das bekannteste Gesicht der Seite. In Videos berichtet er aus der Redaktion über die wichtigsten Scoops, meistens im Poloshirt. Auch im Fernsehen ist er oft zu sehen: Entweder in der hauseigenen Sendung TMZ on TV, die unter anderem auf den Sendern Fox oder The CW zu sehen ist. Oder wenn er in den Promi-Nachrichten anderer Sender zum neuesten Klatsch befragt wird. Eine Anfrage der SZ aber blieb unbeantwortet.
Wenn man so will, hat Levin sein ganzes berufliches Leben auf die Gründung der Seite vor elf Jahren hingearbeitet. Nach einem Jurastudium und einigen Jahren als Dozent bekam er eine Kolumne zu Rechtsthemen in der Los Angeles Times, weil er ein Talent dafür hatte, juristische Sachverhalte verständlich und unterhaltsam zu präsentieren. Darauf folgte ein Engagement als Gerichtsreporter bei einem lokalen Fernsehsender, wo Levin unter anderem über den Mordprozess gegen O. J. Simpson berichtete. Später war er Redaktionsleiter der Sendung Celebrity Justice, die über "Famous faces, famous cases" berichtete - die juristischen Fehltritte der Schönen und Reichen.
US-Klatschportal:"TMZ jagt Promis wie Freiwild"
Die Boulevard-Plattform TMZ hat sich zum Zentralorgan der üblen Nachrede entwickelt. Bei ihrer Bustour durch Los Angeles erfährt man eine Menge darüber, wie süchtig die Welt nach Skandalen ist.
Nichts anderes macht Levin heute mit TMZ, und die Justiz ist nach wie vor eine seiner wichtigsten Quellen: Dem New Yorker zufolge beschäftigt TMZ drei Reporter, die im Gericht von Los Angeles in Vollzeit nach Promi-Geschichten suchen - die Los Angeles Times nur einen. "TMZ ist zu gleichen Teilen Nachrichtendienst und Medienunternehmen", heißt es in dem Artikel.
Wenn andere Medien zögern, profitiert TMZ
Levin versteht seine Seite als investigatives Medium. Er recherchiere für eine Britney-Spears-Geschichte genauso hart wie NBC für eine Story über einen Politiker, sagte er der New York Times: "In der Welt, über die wir berichten, sind wir so etwas wie Associated Press."
Dass die anderen das ganz offenkundig etwas anders sehen und TMZ-News nur verzögert verbreiten, sei ihm nur recht, sagte er im Sommer auf die Frage eines CNN-Reporters: "Das ist doch toll, dann sind wir bis dahin die einzige Quelle für die Geschichte. Ich wünschte, ihr würdet noch viel länger warten!"