Urteil zu ZDF-Produktion:Polen gegen "Unsere Mütter, unsere Väter"

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Viktor (Ludwig Trepte) wurde von den Partisanen als Jude enttarnt. Im Hintergrund: Partisanenführer Jercy (Lucas Gregorowicz). (Foto: David Slama/ZDF)

Ein Gericht in Krakau urteilt, das ZDF müsse sich für den Weltkriegs-Dreiteiler bei der polnischen Heimatarmee entschuldigen. Und was ist mit dem deutschen Publikum?

Von Willi Winkler

Gegen Ende des Weltkriegsdreiteilers Unsere Mütter, unsere Väter ist ein Emailschild zu sehen, das die Geschichte gerade rückt: "Swing tanzen verboten" steht da, verordnet von der "Reichkulturkammer". Aber jetzt ist 1945, der Krieg ist aus, die Nazis sind besiegt, der subversive Swing hat gewonnen. Das Schild ist zur Kennmarke und zum Zeitzeichen für Filme geworden, die in den Nazi-Jahren spielen. Auch in der Serie Charité hat es wieder einen schönen Auftritt.

Der Historiker Bodo Mrozek konnte bereits 2013, im Jahr, als der von Nico Hofmann produzierte Dreiteiler im ZDF lief, den Nachweis führen, dass es ein solches Schild im Dritten Reich ebenso wenig wie ein flächendeckendes Swing-Verbot gab. Es handelt sich um ein nachgeschaffenes Artefakt, das inzwischen sogar auf Flohmärkten zu finden ist. Ein Original gibt es nicht, das Schild, das vorgeblich in den Vierzigerjahren für kulturpolitische Ordnung sorgte, geht auf das Cover einer Jazz-Kompilation zurück, die erst in den Siebzigern herauskam. Aber es ist einfach zu schön, als dass man dem Requisit nicht bei nächster Gelegenheit wieder zu einem Auftritt verhelfen würde.

Ein Angehöriger der Partisanen fühlt sich beleidigt

Nach einem jahrelangen Rechtsstreit hat das Berufungsgericht in Krakau am Dienstag mitgeteilt, dass sich das ZDF für Unsere Mütter, unsere Väter entschuldigen müsse. Auf eine Schadenersatzzahlung, es war die Rede von umgerechnet 4500 Euro gewesen, wurde allerdings verzichtet. Das Urteil hat selbstverständlich nichts mit dem hineingefälschten Schild zu tun. Vielmehr hatte ein inzwischen 96-jähriger Angehöriger der polnischen Heimatarmee wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung geklagt und Recht bekommen. Genau genommen war nach Meinung des Klägers und inzwischen auch des Gerichts nicht das Persönlichkeitsrecht eines einzelnen Veteranen, sondern das Geschichtsbild der Untergrundarmee und damit die Geschichtspolitik des heutigen Polen verletzt worden. Der Kläger in Krakau fühlte sich als Angehöriger der ruhmreichen Partisanen beleidigt, weil die Untergrundarmee als Bande antisemitischer Wüstlinge dargestellt worden sei. Das Gericht hat deshalb das ausstrahlende ZDF sowie ZDF Neo und 3 Sat länderübergreifend dazu verurteilt, mit acht Jahren Verzögerung eine Entschuldigung nachzureichen.

Bei der Erstausstrahlung erreichte der Dreiteiler in Deutschland eine Quote von mehr als zwanzig Prozent, ohne dass es zu größeren Diskussionen gekommen wäre. An der Serie (Drehbuch: Stefan Kolditz) hatten Zeithistoriker mitgewirkt, und im Übrigen entsprach das präsentierte Geschichtsbild einer durch die Wehrmachtsausstellung in den Neunzigern fortgebildeten Gesellschaft.

Die Serie begleitet fünf junge Deutsche, die um das Jahr 1939 und in den Weltkrieg hinein erwachsen werden, sich für oder gegen die Nazis entscheiden, Juden denunzieren, Russen und Polen erschießen, während ihre Kameraden von Partisanen erschossen werden, sie selbst aber überwiegend heil aus dem herauskommen, was die bewussten Nazis angerichtet haben. Sogar der Jude Viktor kommt mit dem Leben davon.

"So wären die Deutschen gern gewesen", hat der Freiburger Historiker Ulrich Herbert bei der Erstausstrahlung 2013 in der taz geschrieben, nämlich verführt, im Grunde doch nur lebensgierig und alles Swing-Jünglinge. Es ist die bewährte Schicksalserzählung, dass die lieben jungen Menschen in den Mahlstrom der Geschichte geraten. Selbst wenn sie Juden verraten, sind sie doch nicht so schlimme Schurken wie die SS-Männer, die in eingespielter Weise böse SS-Männer spielen. Das erste Opfer des Krieges, daran ließ die Ufa-Produktion keinen Zweifel, waren die Deutschen gewesen.

Es fehlte nicht am Schlachtennaturalismus, es wurde die Mordlust deutscher Soldaten gezeigt, aber es fehlte, wie Herbert monierte, jede Andeutung, dass die Generation der Eltern, für die Hofmann (Jahrgang 1959) um Verständnis warb, Teil der Volksgemeinschaft gewesen war, die mit ihrem Führer jubelte, wenn er Land um Land eroberte und bis Stalingrad unbesiegbar schien. Die Serie wurde nicht zufällig in achtzig Länder verkauft, denn sie bietet eine echte Expo-Version deutscher Geschichte: Blut spritzt wie in den besten Kriegsfilmen, die Körper werden auf internationalem Niveau zerfetzt, das Vorbild Saving Private Ryan von Steven Spielberg für diese Szenen ist unverkennbar. Doch hat das Heldengedenktags-Pathos Spielbergs seine Berechtigung: Die Amerikaner haben nun einmal (zusammen mit der Roten Armee der Sowjetunion) Deutschland befreit, also das unter großen Opfern geschafft, was der Volksgemeinschaft der Hitler-Unterstützer bis zuletzt nicht gelungen ist.

Geschichte unterliegt in der Darstellung längst ästhetischen Kriterien

Beim Sterben macht es keinen Unterschied, ob man am Omaha Beach an der Küste der Normandie draufgeht oder beim Angriff auf die sowjetischen Truppen, aber der deutsche war ein Angriffskrieg, der der Alliierten sollte dem Morden im besetzten Europa ein Ende machen. In Filmen mit der Zeitgeschichte als Hintergrund geht es jedoch nicht nur ums Sterben, sondern auch um Geschichtsdeutung. Geschichte, und natürlich auch die jüngere und jüngste Geschichte, unterliegt in der Darstellung längst ästhetischen Kriterien, das hat zuletzt die Debatte um die Netflix-Serie The Crown gezeigt. Es ist kaum zu vermeiden, dass eine Generation aufwächst, die das britische Königshaus für einen üblen Intrigantenstadl und die Queen für eine um die Armen besorgte Politikerin halten wird. Das ist keine Neuigkeit: Das glücklich in die Selbständigkeit zurückgekehrte Österreich wollte sich nach dem verlorenen Krieg als erstes Opfer des Österreichers Hitler sehen, und das Millionenpublikum, das in die Sissi-Filme ging, musste es nicht besser wissen.

Im Zweiten Weltkrieg sind den Deutschen sechs Millionen Polen zum Opfer gefallen, aber das heutige Polen muss sich noch immer regelmäßig gegen die Behauptung wehren, dass Auschwitz ein polnisches Konzentrationslager gewesen sei. Die vielen Hunderttausend Leser von Marcel Reich-Ranickis Autobiografie wissen, dass es Polen waren, die ihm, dem aus Deutschland vertriebenen Juden, das Leben gerettet haben, indem sie ihn vor seinen Landsleuten versteckten. Im polnischen Parlament wurde Unsere Mütter, unsere Väter sogar dem früheren Ministerpräsidenten Donald Tusk als Beispiel für dessen kulturpolitisches Versagen vorgehalten. Der polnische Botschafter in Deutschland protestierte gegen die unkritische Berichterstattung. Hofmann sah sich bereits genötigt, sich beim polnischen Volk zu entschuldigen. In einem nachgereichten Dokumentarfilm Kampf ums Überleben. Polen unter deutscher Besatzung sollte der Heimatarmee größere Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Doch auch wenn die staatlich verordnete Geschichtsbetrachtung es nicht wahrhaben will, es haben sich neben Ukrainern, Kroaten, Litauern, Tschechen und Österreichern auch Polen an der Ermordung der Juden beteiligt, die 1941 zum deutschen Staatsziel geworden war und im Schatten des "Unternehmen Barbarossa" mit aller bürokratischen Gründlichkeit durchgeführt werden sollte.

Über das Krakauer Urteil mag lachen, wer will: Bis sich das ZDF bei seinen Zuschauern für die mundgerechte Bearbeitung der nationalsozialistischen Ära entschuldigt, wird es wahrscheinlich noch etwas dauern.

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