TV-Vorschau: "Liebeslied":Mut zum Pathos

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Eine glockenzarte Nicolette Krebitz und der "Selig"-Sänger Jan Plewka als Holzfällerkerl, der an Parkinson erkrankt: Der ZDF-Film "Liebeslied" ist große Kunst.

Barbara Gärtner

Nicht nur die FDP, auch die deutsche Gegenwartsliteratur muss sich schelten lassen, den Kontakt zum Menschen verloren zu haben. Während bildende Kunst Sozialreportagen gleicht und das Theater echte Arbeitslose und Behinderte ausstellt, scheint die Erwartung an fiktionale Fernsehfilme, eine Art von Real-Leben abzubilden, gering. Vielleicht, weil die Kulturkritiker, die nun die Literaten rüffeln, den Kunstanspruch ans Fernsehen schon lange haben fahren lassen. Dass zur Primetime stets Schmonzetten gesendet werden, in denen eine wackere Frau nach etwas charakterfestigendem Trara das Glück küssen darf, wen regt das noch auf?

Traurig, albern und komisch: In "Liebeslied" schwebt Dinah (Nicolette Krebitz) mit ihrem Mann Roger (Jan Plewka) im Animations-Sternenhimmel. Dann hört Roger die Diagnose Parkinson und stürzt in die Tiefe. (Foto: Matthias Melster)

Leute, die vom Filmschaffen nichts mehr erwarten, lieben Nicolette Krebitz. Wann immer sie auftaucht, wird ihr gehuldigt, aber vor allem dem deutschen Film eins mitgegeben: So eine famose Frau! So selten kann sie brillieren! Allein deshalb kann sie einem auf die Nerven gehen. Jetzt aber spielt, ach was, singt, tanzt, weint sie in einem Film, der vorführt, was Kunst kann: Ein relevantes Thema mit einer konsequenten ästhetischen Idee zu versehen, die mehr ist als bloße Illustration und dem Betrachter eine neue Erfahrung schenkt. Hier ist es Mitleid.

Liebeslied ist großartig. Und schwer zu ertragen. Dass der Film großartig ist, liegt auch an Krebitz, aber vor allem an Anne Høegh Krohn (Buch und Regie). Und an Jan Plewka, den Sänger der Große-Gefühle-Band Selig. Er spielt einen Holzfällerkerl, Roger, der seine Frau Dinah (Krebitz) und die beiden Kinder liebt. Anfangs ist alles beinahe ein glucksendes Kissenschlachtenglück. Dann beginnt Rogers Hand zu zittern. Der Arzt schreibt Parkinson auf den Krankschreibungszettel.

Parkinson? "Das kriegen doch nur alte Leute", tröstet Dinahs Freundin. Sie irrt, und Liebeslied ist kein Rührstück geworden, bei dem es die Übermutti schon richten wird. Der Film ist alles zusammen: traurig, albern, auch komisch. Sogar Musical, mit Pop und Rock. Jan Plewka hat mit dem Selig-Kollegen Christian Neander die Songs geschrieben.

Wo Krebitz glockenzart und bollywood-ironisch durch den Supermarkt tänzelt, röhrt Plewka auf der Baustelle. Keine Angst vor Pathos, vor Kitsch. Manchmal schwebt das Paar singend im Animations-Sternenhimmel; als Roger seine Diagnose hört, stürzt er in die Tiefe, die Ornamente, die sich dazu kräuseln, formieren sich zum wunden Parkinson-Hirn. Das hätte furchtbar werden können, es ist geglückt: Leben, zur Kunst transzendiert.

Liebeslied, ZDF, 0.25Uhr

© SZ vom 11.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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