TV-Kritik zu Günther Jauch:Wie Sarrazin an Steinbrück scheitert

Lesezeit: 3 Min.

Thilo Sarrazin legt ein neues Buch vor, Günther Jauch bietet ihm für seine Thesen eine Bühne. Doch punkten kann Sarrazin nicht, denn Talkshow-Kontrahent Peer Steinbrück weiß, was die Zuschauer wollen: nicht Holocaust und Euro-Krise, sondern hemdsärmeligen Optimismus.

Nakissa Salavati

Nur ein einziges Mal applaudieren die Zuschauer der Talkrunde Günther Jauchs an diesem Sonntagabend wirklich herzlich. Nicht als es um den Euro, um Griechenland oder einen Buchskandal geht - sondern um eine rote Krawatte.

Forum bei Günther Jauch: Thilo Sarrazin geht erneut mit einer steilen These an die Öffentlichkeit. (Foto: dapd)

Seine Ansichten hätten sich nicht geändert, "auch nicht der Schlips, den ich gerade trage", sagt Peer Steinbrück. Er grinst dabei. Zuvor hatte Jauch das Video einer älteren Sendung eingeblendet, in der der Ex-Finanzminister dieselbe Krawatte trug wie in diesem Moment.

Steinbrück hat verstanden: Die Zuschauer wollen nur ein bisschen Information, dafür aber ganz viel gute Laune. Sein Gegenüber, Thilo Sarrazin, hingegen, jongliert lieber eine Stunde lang mit Zahlen - und versucht, sehr berechenbar einen Skandal zu provozieren.

Brauchen wir den Euro wirklich? fragte Jauch im Titel seiner Sendung, versehen mit dem provokanten Zusatz: Thilo Sarrazin gegen Peer Steinbrück. Damit sitzen sich nicht nur zwei SPD-Genossen, sondern vor allem zwei Gegensätze gegenüber: gesunder Menschenverstand versus Faktenverliebtheit, Optimismus versus Endzeitstimmung.

Wir brauchen den Euro, findet Steinbrück, er sei die tragende Säule der europäischen Integration. Er glaube an eine gemeinsame Lösung der Krise, schließlich sei er "ins Gelingen, nicht ins Scheitern verliebt". Sarrazin entgegnet: "Alle Elemente der europäischen Integration sind von der Währung unabhängig."

Das deutsche Wachstum hänge nicht vom Euro ab, der Export ginge vor allem in Länder außerhalb der Euro-Zone. Dann zitiert er Zahlen und sieht dabei etwas traurig aus. Dabei könnte sich der ehemalige Berliner Finanzsenator freuen: Günther Jauch bereitet ihm mit seiner Sendung die Bühne, für sein neues Buch zu werben. Am Dienstag wird es erscheinen, Titel: Europa braucht den Euro nicht.

Explosive Verbindungen

Stilistisch, so lässt sich aus den bereits bekannten Auszügen entnehmen, schließt es an sein Vorgängerwerk an: In Deutschland schafft sich ab hatte Sarrazin Deutschland bereits 2010 eine düstere Zukunft vorausgesagt: Statistiken würden beweisen, dass Zuwanderer dem Land mehr Kosten als Nutzen brächten.

In dem neuen 400-Seiten-Werk führt Sarrazin wieder viele Zahlen auf. Vor allem aber stellt er, kaum überraschend, eine explosive inhaltliche Verbindung zwischen äußerst unterschiedlichen Themen her: Holocaust und Euro. Die Verteidiger gemeinsamer europäischer Staatsanleihen seien, so zitiert ihn der Focus, "getrieben von jenem sehr deutschen Reflex, wonach die Buße für Holocaust und Weltkrieg erst endgültig getan ist, wenn wir alle unsere Belange, auch unser Geld, in europäische Hände gelegt haben". Schon vor der Sendung gab es dafür parteiübergreifend Kritik, Finanzminister Wolfgang Schäuble etwa nannte die These "himmelschreienden Blödsinn" und "verachtenswertes Kalkül".

Als Jauch Sarrazin auf seine Holocaust-Behauptung anspricht, erhalten die Zuschauer nur eine vage Begründung. Ex-Kanzler Helmut Schmidt habe auf einem SPD-Parteitag 2011 die deutsche Schuld am Holocaust mit der europäischen Währung in Verbindung gebracht. Steinbrück schüttelt den Kopf: Schmidt habe von den Urmotiven der europäischen Integration gesprochen, die präsent sein müssten, damit eine Lösung zur Krise gefunden werden könne. Er nennt Sarrazins Buch eine "platte ökonomische Studie" und wirft ihm vor, wirtschaftlich unverständlich zu sprechen, das müsse man erst "dekodieren".

So schnell ist das Thema Holocaust dann auch abgehakt und Steinbrück übernimmt salopp und schwungvoll. In seinem Plädoyer für den Euro wechselt er zwischen kurzen, wortgewaltigen Schlagwortketten ("Der Euro gehört zu Europa. Zivilisation, Freiheit, europäische Aufklärung") und ernsthafter Besorgnis ("Das Krisenmanagement muss verändert werden"). Steinbrücks Vorwurf an Sarrazin: Er verkürze die Krise monokausal auf den Euro, statt die Bankenkrise zu beachten und Handlungsempfehlungen auszusprechen.

Jauch hält sich in seiner Moderation zurück, greift kaum ein, sondern leitet vor allem über. So bleibt Steinbrück die Möglichkeit, sein rhetorisches Talent auszuspielen. Er antwortet auf Sarrazin mit Bedacht und gibt ihm zu manchen Punkten recht. So bestätigt er etwa, dass bei der Einführung des Euro Fehler gemacht worden seien. Während Sarrazin betont, jeder Staat sei selber für seinen Haushalt verwortlich, warnt Steinbrück vor der Renationalisierung und beschwört die gemeinsame Idee, an der auch der Euro hänge: "Wenn ein Stein aus dem Gebilde Europa herausbricht, was heißt das dann für unseren Kontinent?"

Das bisschen Positive, das Sarrazin zu äußern hat, klingt seltsam lebensfern: Er habe durchaus Zuneigung zum verschuldeten griechischen Volk. Es sei "unglaublich sympathisch im unmittelbaren Umgang".

Am Ende der Sendung, nach längerem Zuhören, passiert etwas, das den Zuschauer selbst verwundert: Er hat, während Steinbrück über seine rote Krawatte lachen kann, ein bisschen Mitleid mit Sarrazin.

© Süddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: