TV-Kritik: Oliver Geissen:Verblende Deine Jugend

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Und freitags grüßt der Geissen: RTL, der Nostalgie-Sender der Nation, beschwört die goldene Jugend. An 18 - Die beste Zeit meines Lebens ist jedoch nur der Titel neu.

Rupert Sommer

Gefangen in der Quassel-Zeitschleife: Wer den Ausklang einer harten Arbeitswoche freiwillig im RTL-Fernsehprogramm verbringt, hat sich über die Jahre an vieles gewöhnt - auch daran, dass es nach bislang 80 Folgen von Oliver Geissens Die ultimative Chart Show Woche für Woche um das Gleiche geht.

Oliver Geissen ist der Grinser vom Dienst. Deutschland weiß jetzt, dass er Laminat nicht gut findet. (Foto: Foto: RTL)

Am Konzept wurde nie gerüttelt

Seit 2003 grüßt der blonde Dauergrinser in zunehmend vertraut wirkenden Einspielfilmen Freitag für Freitag das mittlerweile sprichwörtliche Murmeltier: Immer geht es um Streifzüge durch die jüngere Musikgeschichte, bei denen es letztlich egal ist, ob die journalistische Klammer nun Die erfolgreichsten Pop-Hymnen aller Zeiten (8. Januar), Die erfolgreichsten deutschen Alben der 90er - Made in Germany (15. Januar), Die erfolgreichsten Pop-Pianohits aller Zeiten (22. Januar) oder zuletzt Die längsten Karrieren der Chartgeschichte (29. Januar) heißen. Am Konzept wurde nie gerüttelt, und fast immer war Musikproduzent Thomas M. Stein zu Gast.

Dass Oliver Geissen nun mit der von Endemol produzierten Primetime-Show 18 - Die beste Zeit meines Lebens seine Fangemeinde komplett vor den Kopf stoßen würde, war nicht zu erwarten. Und doch wagte der Kumpel-Moderator von nebenan, der bei RTL für Fließbandmonotonie abgestellt ist, den Affront: Diesmal log Geissen sein Publikum dreist an.

Dass er zu Beginn seiner bislang nur auf vier Folgen ausgelegten Eigenentwicklung das unschuldige Wörtchen "Neu" rechts oben im Bild einblenden ließ, wirkte höchstens unfreiwillig komisch, wenn nicht sogar grob irreführend. Neu war an dieser Geissen-Show gar nichts, dafür einiges noch liebloser als sonst.

Anspruch der Show-Idee ist es, Momente heraufzubeschwören, die eigentlich unvergleichlich, bestenfalls unvergesslich sind. "Endlich 18, endlich volljährig, endlich für sich selbst entscheiden und das Leben in vollen Zügen genießen", hieß es in einem reißerischen Ankündigungstext von RTL.

Eine Art RTL-Betriebsshow

Momente von dieser Intensität stellten sich in der Show jedenfalls nicht ein, was sicherlich an der fehlenden Fallhöhe lag. Hand aufs Herz, wer sollte auch ernsthaft fiebrige Erregung verspüren, wenn das bislang blass gebliebene RTL-Eigengewächs Daniel Hartwich, zappeliger Co-Stichwortgeber bei Das Supertalent und erst seit 1996 erwachsen, aus seinem Privatleben erzählt?

Auch bei der Einladung an die RTL-aktuell-Moderatorin Ulrike von der Groeben, die ihren 18. Geburtstag 1975 erlebte, dürfte selbst Wohlmeinende der Verdacht beschleichen, dass hier Sender-Eigeninteressen im Vordergrund standen. Selbst Axel Schulz, bärbeißiger Vertreter der Generation, die 1986 volljährig wurde, stand wenigstens während seiner aktiven Boxer-Zeit indirekt lange auf der RTL-Gehaltsliste.

Immerhin sorgte das linksauslegende Schwergewicht für die wenigen überraschenden Momente eines TV-Abends, der mit einer Brutto-Sendezeit von zwei Stunden zäh verstrich. Seine unbekümmerte Offenheit brachte nämlich das runtergeschnurrte Immer-Weiter-Moderieren von Oliver Geissen gelegentlich ins Stocken.

Lesen Sie auf Seite 2, warum Axel Schulz mit giftgrüner Glibbermasse nichts anzufangen vermochte.

18 - Die beste Zeit meines Lebens
:Damals Teenie, heute Promi

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Schulz verriet, dass er früher eigentlich nie ferngesehen habe. Unmittelbar zuvor wurden in einer reichlich beliebigen Rückschau nostalgische TV-Momente der Jahre 1975, 1986 und 1996 eingeblendet. Als Geissen das Thema "80er Jahre" anschnitt, giftgrüne Glibbermasse hervorzauberte, und bei der bloßen Erwähnung von "Slime" ein wissendes Raunen durchs Publikum ging, fragte der DDR-sozialisierte Schulz ehrlich interessiert: "Wofür war dat gut?"

Auf die Frage nach seinem möglicherweise ausufernden Liebesleben, antwortetet der Sportler sogar schlagfertig. "Ich habe vor vier Jahren geheiratet", so Schulz. "Davor war nichts."

Tschernobyl, ein "unschöner Moment"

Während sich die Sendung zunehmend antriebslos anhand vorsortierter Kategorien wie Traumauto, Modeverirrungen oder Lieblingstänze im Nostalgischen suhlte, geriet sogar Geissen an seine Grenzen. Ein Tiefpunkt der Diskussionskultur war beim innenarchitektonischen Geplapper erreicht: "Ich finde Laminat schlimm, was meint Ihr?", fragte Geissen in die Runde, erhielt aber kaum erhellende Antworten.

Noch unglücklicher lief's vielleicht nur in der peinlich geschmacklosen Sparte "Unschöne Momente", die von der Regie mit Bombenbildern aus dem Vietnamkrieg (1975), dem GAU in Tschernobyl (1986) und dem Rinderwahnsinn (1996) illustriert wurde. "Mir war das, ehrlich gesagt, egal", sagte Hartwich - und traf unfreiwillig den Nagel auf den Kopf.

Zur zweifelhaften Ehre, die Sendung schließlich noch als eine Art Gewinner zu verlassen, kam der ehemalige HR-Radiomoderator später übrigens auch noch: Das Meinungsforschungsinstitut Forsa durfte sich mit der Frage, in welchem der drei ausgiebig vorgestellten Jahre die heute 18-Jährigen wohl am liebsten volljährig geworden wären, ein paar Euro dazuverdienen. Die Wahl fiel auf das Jahr 1996 - und damit auf Hartwich.

Zur Belohnung gab's dann - nach jenem von Wolfgang Petrys Sohn Achim ( Wahnsinn) - den zweiten kleinen Band-Auftritt: Fools Garden spielte den 1996er Hit "Lemon Tree". Und schon die erste Textzeile fasste den so gar nicht neuen Abend noch einmal zusammen: "I'm Sitting Here in a Boring Room ..."

Vielleicht hätte es eben doch einen spannenderen Raum geben können, um dort diesen Freitagabend zu verbringen.

Bei den Zuschauern kam Oliver Geissens Neustart übrigens nicht besonders gut an: Nur 2,76 Millionen Fans brachten das nötige Sitzfleisch dafür auf. Mit einem Marktanteil von nur 9,2 Prozent lag die Sendung weit unter dem aktuellen RTL-Sendermarktanteil von 12,9 Prozent.

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