Tatort "Kaltstart":Eine Zigarettenlänge zum Nachdenken

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Thorsten Falke mit Buddy Jan Katz (Sebastian Schipper). (Foto: NDR/Boris Laewen)

Der Tatort "Kaltstart" zeigt Gestrandete und Hoffnungslose in Wilhelmshaven, der Nordmensch Falke raucht und raunt, die Atmosphäre ist dicht. Doch es geht um alles. Und das ist viel zu viel.

Von Holger Gertz

Dieser Tatort ist ein Fest für Menschen, die es mögen, wenn Spannung und Schönheit sich in sprechenden Bildern vereinigen. Wotan Wilke Möhring steht als Ermittler Thorsten Falke im Dunkel der Nacht, er hat eine böse Nachricht erhalten, und er registriert sie mit diesem klassischen, vorübergehend flackernden Möhring-Blick: ein Augenaufschlag erzählt von der Verlorenheit des Moments.

Möhring kann auch so rauchen, dass es sich wie trauern anfühlt, und überhaupt wird die Raucherei erfreulicherweise nicht verteufelt, sondern stimmungsbildend in die Handlung eingepflegt. Sturmfeuerzeug an. Anbrennen. Einatmen. Ausatmen. "Ich geb' Ihnen eine Zigarettenlänge zum Nachdenken" sagt Falke zum verdächtigen Lademeister Martinsen. Lademeister ist ein schöner Name für einen, der im Hafen die Lade- und Löscharbeiten organisiert, und in diesem Milieu spielt ja diese Episode.

Der Jade Weser Port in Wilhelmshaven ist Heimathöhle für Gestrandete und Hoffnungslose, denn weil das Kerngeschäft nicht läuft, werden hier Menschen geschleust, das Elend afrikanischer Flüchtlinge wird zu Geld gemacht. Die Hafenarbeiter in ihrer Not verpfänden ihren Stolz, sie helfen den Schleusern.

"Kaltstart" von Marvin Kren ist atmosphärisch dicht, der Hafen ist eine kalte, windige Hölle, und der Nordmensch Falke raucht und raunt im Stimmklang der Region. "Ball flachhalten, fertichmachen." Begriffe werden vorgestellt, die unten im Süden wieder kein Mensch versteht, plietsch zum Beispiel. Aber je tiefer man sich hineingräbt in die Geschichte, desto unmöglicher wird es, ihr zu folgen.

Sie handelt von der Not der Flüchtlinge aus Afrika. Von der Verzagtheit der Männer im Hafen. Von sämtlichen Abgründen der vernetzten Welt, überall stehen Überwachungskameras rum, Laptops verschwinden. Irgendwann schleust Falkes Kollegin sich ins Kapitänshandy ein und findet Familienfotos, Besäufnisbilder, finnische Pornos und Hinweise auf Jérôme Mdanga. Das ist ein Rebellenführer, gesucht mit internationalem Haftbefehl. Die Geschichte handelt jetzt auch noch von Waffenhandel, es geht um die Hintermänner von Hintermännern. Es geht um alles. Und das ist viel zu viel.

Die Musik in diesem Tatort fühlt sich an wie Regentropfen, die Fensterscheiben entlangwandern. Momentaufnahmen voller Atmosphäre, kein Wort am falschen Platz. Stichwort Lademeister. Leider verliert sich die Story komplett hinter den schönen Bildern, sie meistert nicht ihre eigene Last.

ARD, Sonntag, 20.15 Uhr.

© SZ vom 26.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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