Der US-Schwerverbrecher Charles Manson bekam kistenweise Liebesbriefe in den Knast, der Norweger Anders Breivik, der 77 Menschen getötet hat, sogar Heiratsanträge von 16-Jährigen. Warum suchen manche Menschen, oft sind es Frauen, die Nähe zu Gewaltverbrechern? Andererseits: Verdient nicht jeder eine zweite Chance? In Der Reiz des Bösen liest eine Frau ihrer zweifelnden Kollegin blumige Zeilen eines Mörders vor. "Kann jemand, der solche Briefe schreibt, ein schlechter Mensch sein?", fragt sie.
Um Hybristophilie geht es in diesem Kölner Tatort nach dem Buch von Arne Nolting und Jan Martin Scharf, der auch Regie geführt hat. Darum, dass sich manche Frauen von Gewalttätern angezogen fühlen. Manche suchen Stärke, manche glauben, den Menschen als Einzige retten zu können. Das kann gut gehen, das kann fürchterlich schiefgehen. So sieht es aus, als Schenk (Dietmar Bär) und Ballauf (Klaus J. Behrendt) eine tote Frau finden, mit zwölf Messerstichen versehen, die Augen mit einem Gürtel verbunden. Ihren Mann hat sie im Gefängnis geheiratet. War er es?
Ein Gürtel über den Augen - das kennt Jütte von einem anderen Mordfall aus Wuppertal
Der Fall nimmt Fahrt auf, als eine Schnecke über die Tastatur des tiefenentspannten Assistenten Jütte (Roland Riebeling) kriecht. Metaphernalarm für den tumben Zuschauer. Doch dann dreht Jütte auf. Ein Gürtel über den Augen? Das kennt er von einem Mordfall aus Wuppertal, den alle für geklärt hielten, er aber nie. Auch diese Frau hatte Knastkontakte. Auch sie hatte ein Kind, wie das andere Opfer. Jütte brach damals zusammen, das Herz. Vorher nannten sie ihn Turbo-Jütte, in Köln ist er der Dienst-nach-Vorschrift-Jütte. Reiner Selbstschutz, weiß man nun.
Während bei Schenk (Ferrari aus Asservatenkammer) und Ballauf (tiefer Blicktausch mit Kollegin) konventionelle Muster bedient werden, tut es gut, Jütte mal nicht in der üblichen Buddha-Nummer zu sehen. Er brennt für diesen Fall und verweist seine Vorgesetzten in die zweite Reihe. Am Ende finden alle Stränge zueinander, es gibt Grüße aus der Vergangenheit, wobei die Zeitebenen verwirren, weil sie mit derselben Musik arbeiten, aber in anderen Dekaden spielen. So richtig hilft es da auch nicht, dass die alten Sequenzen senffarben anmuten und bei den neuen das Licht kälter ist.
Jütte schaltet den Turbo wieder aus. Schenk bringt den Ferrari zurück, Ballauf schaut weiter dackelig. Der Fall ist gelöst, aber zurück bleiben nur Scherben. Gut wird hier nichts.
ARD, Sonntag, 20.15 Uhr