Studie zu Mediennutzung:An schwerer Kost versucht sich ein sattes Publikum

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Benedict Cumberbatch in der Hamlet-Inszenierung von Lyndsey Turner. (Foto: Johan Persson/Reuters)
  • Die Psychologen Hal Hershfield und Adam Alter haben im Journal of Experimental Psychology: Applied gezeigt, dass ernste und sperrige Unterhaltungsangebote stärker in wirtschaftlichen Boomzeiten gefragt sind.
  • Während ökonomischer Krisen wendet sich das Publikum demnach hingegen lieber leichteren Inhalten zu.
  • Hintergrund: Wenn es den Menschen gut geht, sind sie eher bereit, sich mit herausfordernden oder düsteren Gedanken zu konfrontieren.

Von Sebastian Herrmann

Vor einem Theaterabend plagen den mittelmäßig erfahrenen Bühnenbesucher oft Sorgen. Beim letzten Versuch der kulturell hochwertigen Zerstreuung hatte die Inszenierung viereinhalb Stunden gedauert, ein Marathon. Die Darbietung war wie der Sitz im Parkett: hart, quälend, eine Herausforderung. Der finsteren Handlung war schwer zu folgen und die wenigen klaren Momente berührten die emotionale Schmerzgrenze. Dem nächsten Theaterbesuch steht die Angst im Wege, so etwas wieder zu durchleben.

Wer setzt sich solchen Erfahrungen aus, wo es doch eigentlich um Unterhaltung geht? Die Antwort der theaterfernen Wissenschaft lautet: An schwerer Kost versucht sich eher ein sattes Publikum. So zeigen die Psychologen Hal Hershfield und Adam Alter im Journal of Experimental Psychology: Applied, dass ernste und sperrige Unterhaltungsangebote stärker in wirtschaftlichen Boomzeiten gefragt sind. Während ökonomischer Krisen wendet sich das Publikum hingegen lieber leichteren Inhalten zu. Wenn es den Menschen gut geht, sind sie eher bereit, sich mit herausfordernden oder düsteren Gedanken zu konfrontieren.

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Die Psychologen werteten Unterhaltungsangebote aus den zurückliegenden Jahrzehnten aus: Hits der US-Charts seit 1958, Kinoblockbuster, Buchbestseller sowie mehrere Tausend Cartoons aus dem New Yorker. Die emotionale Färbung dieser Inhalte ließen die Wissenschaftler von mehr als 1000 Probanden bewerten. Zudem boten das Genre der Bücher oder die Tonalität der Songs - Dur oder Moll - Anhaltspunkte, um die Inhalte in die Kategorien "schwer" und "leicht" zu sortieren.

Ein Abgleich mit der historischen Entwicklung der Arbeitslosenrate sowie einem ökonomischen Stimmungs-Index zeigte dann den beschriebenen Effekt. "Leichte Unterhaltung lenkt das Publikum von den Widrigkeiten des Alltags ab", sagen Hershfield und Alter. Das steckt hinter der Beobachtung: Manipulierten die Psychologen im Labor in weiteren Experimenten die Stimmung ihrer Versuchsteilnehmer, zeigte das Konsequenzen. Gut gelaunte Probanden waren eher bereit, sich von schwerer Kost unterhalten zu lassen.

Aus anderen Studien ist bekannt, dass schlecht gelaunte Menschen zum Beispiel eine akut verstärkte Neigung haben, fröhliche Musik zu hören oder gute Nachrichten zu konsumieren. Geistige Herausforderungen ertragen Menschen hingegen eher, wenn sie bester Stimmung sind. Um etwa negatives Feedback anzunehmen, so Hershfield und Alter, helfe es ungemein, gut gelaunt zu sein. Und die wirtschaftliche Situation wirke sich auf die Stimmung und damit auf Entscheidungen aus, argumentieren die Psychologen.

Kapitalismuskritische Bühnenkunst ließe sich also eher genießen, wenn einen die eigene finanzielle Situation nicht mit schweren Sorgen belastet und die Laune drückt. Vielleicht, aber das ist nun reine Spekulation, kann das auch erklären, warum sich im Theater eher die wohlsituierten Schichten zu schwerer Kost versammeln: In diesem Publikum sorgen sich die meisten Zuschauer wohl nicht, wie sie die Miete zusammenkratzen sollen; stattdessen plagt sie eher die harmlose Angst, dass das Stück wieder vier Stunden dauern wird.

© SZ vom 03.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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