Serie:Zwischen Blockbuster und Bildungsfernsehen

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Böse neue Welt: Kunta Kinte (Malachi Kirby) wird von britischen Sklavenhändlern entführt und bis zu seinem Tod versklavt. (Foto: Casey Crafford/A+E Networks/HISTORY)

Das Remake der Serie "Roots" soll für die Geschichte des Rassismus sensibilisieren. Doch die Sklavenmisshandlungen darin waren selbst Rapper Snoop Dogg zu krass.

Von Benedikt Mahler

Um mit einem Remake an den Erfolg der Vorlage anzuknüpfen, setzen Produzenten meist auf prominente Schauspieler oder Regisseure. Für die Neuauflage von Roots als sogenanntes "Serien-Event" entschied sich ein Konsortium von Fernsehproduzenten für beides. Zu Ostern ist die Serie erstmals in Deutschland beim Bezahlsenderkanal History zu sehen, in den USA lief sie 2016. Man verpflichtete Oscargewinner wie Forest Whitaker ( Der letzte König von Schottland) und Anna Paquin ( Das Piano) und gleich vier Regisseure, zwei schwarze und zwei weiße, etwa Mario van Peebles (2 1 Jump Street) und Philip Noyce (Das Kartell). Bei ihrer Gratwanderung zwischen Blockbuster und Bildungsfernsehen versprachen sich die Produzenten offenbar ein gemindertes Risiko davon, nicht allein auf die Anziehungskraft des bekannten Stoffs zu vertrauen.

Die erste Verfilmung war 1977 ein Welterfolg. 100 Millionen Amerikaner sahen gebannt im Fernsehen die Serie, die eine erinnerungsgeschichtliche Zäsur darstellte. Roots war mehr als Unterhaltung, Roots war ein Politikum. Knapp zehn Jahre nach dem rassistisch motivierten Mord an Martin Luther King wurde in den Wohnzimmern der Schwarzen wie der Weißen aufreibend über den amerikanischen Rassismus diskutiert. Ähnlich wie die US -Serie Holocaust in Deutschland, die zur intensiven Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit führte, hatte Roots geradezu eine kathartische Wirkung auf die amerikanische Gesellschaft. Vor allem jüngere Generationen wurden sich einer Vergangenheit bewusst, die lange totgeschwiegen wurde.

Zwölf Jahre lang hatte Haley nach seinen afrikanischen Wurzeln geforscht

Der Autor der Romanvorlage, Alex Haley, hatte seine Familiensaga zur Zweihundertjahrfeier der USA 1976 veröffentlicht, um zu demonstrieren, dass die Versklavung von vielen Millionen Menschen Teil der amerikanischen Geschichte ist. Zwölf Jahre lang hatte Haley nach seinen afrikanischen Wurzeln geforscht und konnte seine Herkunft schließlich sieben Generationen weit zurückverfolgen. Mit großer erzählerischer Freiheit hat er daraufhin seine Familiengeschichte niedergeschrieben. Sie beginnt Mitte des 18. Jahrhunderts mit Kunta Kinte, einem Krieger aus dem Mandinka-Stamm in Westafrika. Er war von englischen Sklavenhändler in die "Neue Welt" entführt worden und musste bis zu seinem Tod Sklavenarbeit verrichten. Das Buch erzählt die Geschichte seiner Nachkommen weiter von der Kolonialzeit bis zur Abschaffung der Sklaverei während des amerikanischen Bürgerkriegs.

40 Jahre nach der ersten Verfilmung hat man sich nun an eine Neuauflage des Stoffes gewagt, die für den History Channel produziert wurde. Der US-Sender hat hauptsächlich Dokumentationen im Programm, doch um Bildungsfernsehen für ein möglichst breites Publikum zu schaffen, entschied man sich hier für die Fiktionalisierung, die oftmals zugänglicher ist als aneinandergereihtes Archivmaterial und Expertengespräche. Dem Original, das man ja auch einfach hätte wiederholen können, traute man diese Anziehungskraft offenbar nicht zu - oder nicht mehr. Eine zeitgemäße Neuinszenierung sollte ein jüngeres Publikum mit anderen Sehgewohnheiten erreichen.

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Zu den Produzenten gehören nun unter anderem The Wolper Organization, die auch das Original herstellte, sowie Schauspieler LeVar Burton, der darin den jungen Kunta Kinte verkörperte. Offenbar war man überzeugt, dass eine Neuauflage durch aktuelle Ereignisse besondere Beachtung finden würde: Der Entschluss zur Serie fiel 2013, kurz nach dem Freispruch für George Zimmerman, der in Orlando den afroamerikanischen Schüler Trayvon Martin getötet hatte. Die Produktion war somit auch eine Reaktion auf die Debatte über Rassendiskriminierung und polizeiliche Willkür gegenüber Afroamerikanern. Etwa zur gleichen Zeit entstanden auch die Black-Lives-Matter-Bewegung und der Kinofilm 12 Years a Slave.

Die lehmverwaschenen Bilder des Originals sind im Roots-Remake einer satten Farbgebung gewichen. Eine Erzählerstimme, rasante Kamerafahrten und höhere Schnittfrequenzen sorgen für ein dynamischeres Erzähltempo. Besonders aber in der inneren und äußeren Ausgestaltung der Figuren zeigt sich die demonstrative Eigenständigkeit der Produktion. Sollten die freien Oberkörper der Mandinkas in den 70er-Jahren noch besonders archaisch wirken und das verzerrte Bild des "edlen Wilden" bedienen, wird das Exotische hier auf andere Art romantisiert. Die Kostüme könnte man modisch nennen. Die Mandinka-Mädchen sind nicht mehr halbnackt wie in der ersten Version, sondern tragen bauchfreie Spaghettiträgertops. Die Männer zeigen Bauchmuskeln und prächtigen Perlenschmuck vor.

Snoop Dogg rief zum Boykott der Serie auf

Kunta Kinte, den Malachi Kirby mitreißend temperamentvoll verkörpert, bietet großes Identifikationspotenzial für den Zuschauer: Seine Träume und Lebensziele unterscheiden sich wenig von denen eines modernen Teenagers. Entgegen der Tradition möchte er ein Mädchen heiraten, das er liebt, und träumt davon, im urbanen Timbuktu zu studieren. Ganz klar zielt das alles auf eine emotionale Ansprache. Ist das ein Indiz dafür, dass hier bewusst Zielgruppenfernsehen für Weiße produziert wird, denen das Leid des "schwarzen Mannes" nahegebracht werden soll? Der Rapper Snoop Dogg jedenfalls fand die Darstellung der Sklavenmisshandlungen unerträglich und rief im vorigen Jahr zum Boykott der Serie auf.

In den USA sahen mehr als fünf Millionen Zuschauer die erste Folge der Neuauflage von Roots, das ist eine gute Quote im US-Kabelfernsehen. Die Wirkung des Originals erreichte die Serie bei Weitem nicht. Und doch war sie Gegenstand hitziger Diskussionen in den USA, die auch die Frage aufwarfen: Wie oft muss man historische Ereignisse noch popkulturell wiederverwerten, bis sich an der Benachteiligung von Schwarzen wirklich etwas ändert?

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Roots , History, vier Doppelfolgen, Karfreitag bis Ostermontag, ab 22.10 Uhr.

© SZ vom 13.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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