Neuer TV-Sender Joiz:Nur für dich

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Einfach durchgehen und lächeln: Im Studio von Joiz wird live Show gemacht, und manchmal sitzt auch die Redaktion sichtbar mit im Bild. (Foto: Joiz)

Der Sender Joiz aus Berlin produziert Live-Fernsehen für die Generation der digitalen Echtzeitkommentierer. Die Werbewirtschaft wittert ganz neue Möglichkeiten.

Von Claudia Tieschky

Eine verwilderte Brachlandschaft beim Berliner Ostbahnhof. Wo der Asphalt endet, schauen sandiger Boden und Gras in den Himmel. Drahtzäune umstellen eine Fabrikruine aus Backstein. Im analogzeitlichen Westdeutschland waren solche Orte beliebt als Proberäume für brotlose Bands, als improvisierte Unterkünfte der Subkultur.

Hier, im Berlin des Jahres 2013, hat jemand mitten im Bauch der Ruine ein nagelneues Raumschiff landen lassen, in dem der TV-Sender Joiz sitzt. So kommt einem das vor, wenn man im Treppenhaus die Betonstufen hochgestiegen ist - keine Klingel, kein Mensch, nur das Wort Büro mit einem Pfeil auf die Wand gemalt - und vor einer weißen Tür mit zwei erleuchteten Bullaugen steht. Dahinter ist es belebt, stark ausgeleuchtet, modern und supersauber. Selbstbewusste Mädchen mit Strickmützen und zeitgemäßen Augenbrauen; ernsthafte Jungs.

Seit August sendet Joiz aus Berlin; in Zürich gibt es den werbefinanzierten Sender bereits seit 2011. Er produziert Livefernsehen für 15- bis 34-Jährige, das sich mit der manischen Echtzeitkommentierung der Welt im Web verbinden möchte.

Man könnte auch meinen: Das digitale Zeitalter muss voller Sehnsüchte sein, wenn seine Gründer sich Orte wie diesen suchen. Aber alles bei Joiz hat mindestens zwei Seiten: Es war vor allem, sagt Alexander Mazzara, die Nähe zur Konzerthalle O2-World, wegen der man den Ort wählte. Musikgrößen auf Tournee kommen eben eher mal vorbei, wenn der Sender um die Ecke liegt.

Mazzara, 37, ist der Gründer von Joiz, ein lockerer Schweizer Journalist und Start-Up-Unternehmer mit schmalem Mund und einer modischen Riegel-Brille, der im selben Gymnasium wie Albert Einstein lernte.

Ständig im Netz

Später war er bei der Programmentwicklung im Schweizer Fernsehen mit dem Auftrag, das Publikum zu verjüngen. Er probierte viel und stellte fest, "es ist nicht so einfach, junge Menschen anzusprechen mit derselben Marke". Das Problem ist ja auch den Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland bekannt.

2008 nahm Mazzara eine Auszeit und ging für fünf Monate nach Silicon Valley. "Da war mir eigentlich dann klar, dass Online und TV zusammenschmelzen und auch Facebook und Apple mehr in Richtung Video gehen, und dass das eigentlich eine Riesenchance ist, selber was zu machen." Am Tag nach seiner Rückkehr kündigte Mazzara. Sein Plan muss überzeugend gewesen sein, denn sein Chef Kurt Schaadt, in der Schweiz eine Fernsehpersönlichkeit, kam gleich mit.

An diesem Montagabend sind nun Licht und Leute mit Kameras in der Hand auf ein niedriges Podest mit Sitzgruppe und Flachbildschirm orientiert, das die Joiz-TV-Kulisse ist und an ein Wohnzimmer erinnert.

Ein DJ mit schwarzem Cap nickt vogelartig an der Soundmaschine, gleich beginnt die Live-Sendung Schnauze. Ein blondes Mädchen mit Laptop ist ständig im Netz, in der Regie sitzt ein Mann, der sich nur um Social-Media-Reaktionen der Zuschauer kümmert.

Das Prinzip ist einfach. Wer sich bei Joiz registriert und mitmacht, soll sich irgendwie belohnt fühlen: durch Beachtung ihrer Interessen oder durch auf sie abgestimmte Bonusgaben. Drei Sendestunden pro Tag entstehen live, der Rest ist noch Schleife; alle zwei Wochen kommt derzeit ein neues Sendeformat dazu.

Die Redaktion sitzt im selben offenen Raum, und kommt, wie bei einem Nachrichtenkanal, mit ins Bild. Einfach durchgehen und lächeln, rät Mazzara. Falls er gerade lächelt, ist es jedenfalls nicht erkennbar.

Mazzara, der trotzdem ein lustiger Typ ist, gehört ja mit 37 auch genau genommen nicht mehr zu seiner Zielgruppe. Auf jeden Fall hat er - mithilfe des Venture-Capital-Fonds Creathor Venture, der Schwyzer Kantonalbank, einiger Business Angels und eigenen Ersparnissen - einen Ort geschaffen, zu dem zum Beispiel der Jungmoderator Martin Tietjen vom NDR mit der enthusiastischen Erklärung überlief, er werde nun endlich "Kamikaze- und Anarchie-TV" machen.

Da konnte man vor allem ahnen, wie viel Energie im deutschen Anstaltsfernsehen brach liegt. Mazzara hat seither immer wieder mit diesem Zitat zu tun und ist bemüht, es irgendwie wieder einzufangen. Natürlich stimme das Bild vom Kamikaze nicht, sagt Mazzara, aber richtig sei, dass die kreative Energie in großen Anstalten eben oft von Bürokratie gebremst werde: "Ich kenne das Innenleben des öffentlich-rechtlichen Fernsehens sehr gut, deswegen verstehe ich auch genau, was er meint." Vermutlich stimmt es auch, dass die Joiz-Story auch mit Defiziten der Öffentlich-Rechtlichen zu tun hat.

Joiz hat ein sehr interessantes Geschäftsmodell. In der Schweiz schreibt Joiz nach Angaben von Mazzara schwarze Zahlen und hat etwa 50.000 registrierte Nutzer. In Deutschland sind es seit dem Start im August 4000.

Er glaube fest daran, dass ein Sender Zeit brauche, sich zu etablieren, sagt Mazzara, der nicht weniger vorhat als "wieder eine Sinnhaftigkeit von linearem Fernsehen abzudecken". Deshalb gebe es auch die Nachrichten Noiz, Themen wie Politik oder Gesundheit und den Polit-Talk Jung und Naiv: "Wir wollen Mainstream sein und möglichst viel abdecken."

Auf seiner Website erklärt Joiz das Prinzip von Social TV so: "Früher war es der Zigarre rauchende Chefredakteur, der bestimmte, was im Fernsehen passierte, heute bist du es!", heißt es munter. Jede Aktion auf der Seite wird belohnt, mit einem Punktesystem, das Live-Tickets, signierte CDs oder Lifestyle-Produkte verspricht.

In Berlin und Zürich entsteht so einerseits Fernsehen, das mit neuester Technik sehr unaufwendig und kostengünstig ein ziemlich brauchbares TV-Signal herstellt. Ganz nebenbei dürfte hier außerdem gerade etwas ausgelotet werden, das die ganze Branche interessiert: Wie sich das Wissen über die Zuschauer, das diese selbst preisgeben, ummünzen lässt - in besser bezahlte, weil zielgruppengenaue Werbung oder auch zur Feinsteuerung der Programmausrichtung.

Man könnte sagen, eine Währung aus der Internetwelt wird rückübertragen auf die alte TV-Welt. Die Community unterhält nicht nur sich selbst, sie füttert auch die Macher von Joiz mit Informationen - über ihr Publikum.

Internet-Währung, kombiniert mit TV

Mazzara sagt, es sei journalistisch eine "Riesenchance", wenn die Leute live während der Sendung mitdiskutierten, viele Fragen seien einfach relevant, und die müsse der Moderator dann auch in der Sendung beantworten. Das erkläre er auch seinen Leuten immer wieder. Dass Wissen über die Zielgruppe für die Werbewirtschaft interessant ist, dass sich also aus der Internet-Währung kombiniert mit TV andere Möglichkeiten ergeben als bei der klassischen Quotenmessung, ist auch klar. Vermutlich ist das ein Modell mit Zukunft.

Carsten Kollmus, Deutschland-Chef von Joiz, sagt, natürlich könne man den Jungs Gutscheine von einer Fast-Food-Kette und Mädchen solche einer Parfümerie auf ihren Joiz- Account buchen, "weil wir wissen, wer gerade die Sendung schaut". Aber genauso gut könne man eben auch Inhalte rausschicken und sagen "ok, wenn ihr nicht wisst, was eine Koalition ist, erklären wir euch das".

Dass die Toleranz gegenüber Werbung nicht unendlich ist, wissen sie. "Authentisch und credibel" muss es sein, was man im Moment zum Beispiel damit erreichen will, dass die Künstler in der Sendung Flaschen einer Brausemarke mit ihrem Namen darauf bekommen und die Zuschauer später eine Flasche gewinnen können, aus der Westbam getrunken hat.

Das kann man süß finden oder sich fragen, was man mit einer leeren Flasche soll. Die Dinge haben bei Joiz vermutlich oft genau die Seite, auf die man sie dreht.

© SZ vom 24.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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