Sondersitzung des NDR-Landesrundfunkrat Schleswig-Holstein:Was war mit Heiner und Daniel?

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Der Streit dreht sich um die Berichterstattung nach dem Rücktritt des einstigen Innenministers von Schleswig-Holstein, Hans-Joachim Grote. (Foto: Carsten Rehder/dpa)

Interne Beschwerden werfen leitenden NDR-Redakteuren Berichterstattung zugunsten der CDU vor. Der Landesrundfunkrat ging der Kritik jetzt nach.

Von René Martens

Die Begriffe Rotfunk und Schwarzfunk haben sich über Jahrzehnte als Bezeichnungen für vermeintliche politische Tendenzen öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten eingebürgert. Aber gibt's denn mittlerweile auch Jamaikafunk? Ja, würden wohl viele Beschäftigte des NDR-Landesrundfunkhauses in Kiel sagen. Sie kritisieren Führungskräfte ihres Hauses dafür, dass sie 2020 eine Nähe zur damaligen Landesregierung aus CDU, FDP und Grünen pflegten.

Im Kern geht es um die Berichterstattung über den Rücktritt des CDU-Politikers Hans-Joachim Grote

Zunächst hatten sich acht Redakteure an den Redaktionsausschuss, die interne Interessenvertretung der Journalistinnen und Journalisten des NDR, gewandt und entsprechende Vorwürfe formuliert. In der vergangenen Woche zitierte dann Business Insider aus dem Untersuchungsbericht des Gremiums zu der Angelegenheit.

Innerhalb weniger Tage nahm der Fall viele Wendungen: Mittlerweile steht nach einem Leak aus unbekannter Quelle der komplette Ausschuss-Bericht online. Am Montag meldete der Stern, ihm liege ein "Brandbrief" vor, in dem 72 Mitarbeitende "eine lückenlose und transparente Aufarbeitung aller Vorwürfe" fordern. Abends traf sich dann der NDR-Landesrundfunkrat Schleswig-Holstein zu einer Sondersitzung. Der Anfang liegt im September 2020: Damals wendet sich erstmals ein Redakteur aus dem Funkhaus Kiel an den Redaktionsausschuss, "da er sich in der eigenverantwortlichen Erfüllung seiner Aufgaben im Rundfunk beeinträchtigt sieht", wie das Gremium schreibt. Inhaltlich geht es im Kern um die Berichterstattung des NDR Schleswig-Holstein über den Rücktritt des CDU-Politikers Hans-Joachim Grote.

Grote war am 28. April 2020 von seinem Amt als Landesinnenminister zurückgetreten - auf Drängen des ebenfalls christdemokratischen Ministerpräsidenten Daniel Günther. Günther warf Grote vor, vertrauliche Informationen auf digitalem Wege nach außen geleitet zu haben. Dem Ministerpräsidenten sei "unter anderem die offensichtliche Nähe" des Ministers zu einem Reporter der Kieler Nachrichten "zu viel" gewesen, berichtete der NDR seinerzeit. Grote bestritt die Anschuldigungen. Der NDR-interne Streit dreht sich darum, ob es richtig war, ein von Grote zugesagtes Interview abzusagen. So ein Interview ist ja eigentlich ein Glücksfall, oft sind Politiker in solchen Situationen ja alles andere als redewillig.

Ein Interview wird abgesagt, weil es als "wenig gewinnbringend" eingestuft wird

Norbert Lorentzen, heute Chefredakteur des NDR für Schleswig-Holstein, zum Zeitpunkt des strittigen Umgangs ebendort Leiter des Programmbereichs Fernsehen, und Julia Stein, in Kiel Leiterin der Abteilung "Politik und Recherche", schrieben dem Redaktionsausschuss, es sei angesichts vermeintlich "dürftiger" Antworten, die Grote der Redaktion zuvor schriftlich gegeben hatte, "wenig gewinnbringend" und "journalistisch nicht zwingend" gewesen, für einen TV-Beitrag ein Interview mit ihm zu führen. Was die CDU-Politiker betrifft, sei "klar, dass Aussage gegen Aussage steht" und entweder Günther oder Grote "nicht immer die Wahrheit gesagt" haben können, fasst der Redaktionsausschuss zusammen. Der NDR lasse "aber die Chance verstreichen, kritische Fragen an beide Seiten zu stellen und aufzuklären". Die beiden NDR-Vorgesetzten, so der Ausschuss, argumentierten "ähnlich wie der Ministerpräsident".

Der Konflikt geht aber weit über die Berichterstattung zu einer wichtigen Personalie hinaus, es geht es auch um grundsätzliche Fragen. Führungskräfte agierten wie "Pressesprecher der Ministerien" und bügelten kritische Themen ab, lautet eine weitere der vom Ausschuss referierten Beschwerden. Der Landesrundfunkrat Schleswig-Holstein hat nun eine "objektive und umfassende Prüfung der "schwerwiegenden Vorwürfe" beschlossen, wie es in einer Stellungnahme heißt. Die Vorsitzende Laura Pooth sagte mit Blick auf die Vorhaltungen, es dürfe keine "Arbeitsumgebung" geben, die "das Durchregieren Einzelner ermöglicht". Ein anderer Kritikpunkt jenseits der Berichterstattung zum Minister-Rücktritt 2020: Es werde in der Redaktion "teilweise" nicht von Daniel Günther oder Heiner Garg - der FDP-Mann war bis Mai stellvertretender Ministerpräsident -, sondern von 'Daniel' oder 'Heiner' gesprochen", monierten Mitarbeitende laut Ausschuss.

Bei einem "Open Talk" vor knapp einer Woche des NDR-Funkhauses Schleswig-Holstein reagierte Lorentzen auf die Kritik: "Ich finde es wirklich nicht entscheidend, ob sich Mitarbeiter unseres Hauses mit Regierungsvertretern oder Oppositionsführern oder Fraktionsvorsitzenden oder sonst wem duzen oder siezen", sagte der Chefredakteur laut Übermedien. Es sei für ihn "überhaupt nicht entscheidend, ob man denen vielleicht sogar noch freundschaftlich verbunden ist. Für mich ist immer entscheidend: Was machen wir im Programm?"

Dass eine freundschaftliche Verbundenheit zwischen einem Politiker und einem Journalisten, der über diesen berichtet, unproblematisch sei, ist eine eigenwillige Auffassung. Der Deutsche Journalisten-Verband Nord betonte, nur der Eindruck, dass es einen Eingriff in die Berichterstattung gegeben haben könnte, schade dem Sender - dessen Kapital das Vertrauen in unabhängigen Journalismus sei.

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