Modedesigner Guido Maria Kretschmer:Einer für alle

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Guido Maria Kretschmer bei der Mercedes-Benz Fashion Week im Januar 2014 (Foto: Jens Kalaene/dpa)

Guido Maria Kretschmer ist im Fernsehen als Berater der modisch Verwirrten berühmt geworden. Die Kritik des Designers ist nicht immer nett, aber seine Kandidatinnen lieben ihn trotzdem. Ein Besuch.

Von Claudia Fromme

Im Atelier liegt ein Teppich, der lang ist wie ein Laufsteg. Sein Ende säumen Modepuppen in Glitzerkleidern und eine Wand mit dem Namen: Guido Maria Kretschmer. Ein Zitat der hochpolierten Catwalks bei den Schauen in Paris oder Mailand. Beträte man die Auslegeware gleichwohl in den dafür international vorgesehenen waghalsig hohen Schuhen, wäre das womöglich ein Fall für die orthopädische Ambulanz. Der naturfarbene Teppich trägt lange flauschige Zotteln und im Fachhandel den sehr schönen Namen Shaggy.

Eigentlich beschreibt er das Prinzip Guido Maria Kretschmer ziemlich gut. Natürlich geht es um Mode, irgendwie schon. Hier in der alten Porzellanfabrik im Berliner Bezirk Tiergarten entstehen Kretschmers Entwürfe. Auch kommen Kundinnen hierher, probieren Kleider an und laufen barfuß über den Wuschelflor. Zuweilen liegt Kretschmer dann darauf und plaudert mit der Dame, "das ist so irre gemütlich", sagt er. Kretschmer ist ein Seelenschmeichler, vielleicht mehr noch als ein Designer. Er sagt: "Mich interessiert der Mensch mehr als das, was an ihm hängt."

Kretschmer, 49, trägt an diesem Tag ein Sakko, T-Shirt, Jeans und Stiefel in Petrolblau, sein Gang ist ein wenig steif, zu eng sei die Hose, sagt er und lacht, aber sie sei todschick, da müsse er jetzt durch. Das Kommentieren modischer Fehltritte ist sozusagen sein zweiter Beruf.

"Ich liebe den Durchschnitt"

Guido Maria Kretschmer ist der Berater der modisch Verwirrten im deutschen Privatfernsehen. Er moderiert bei RTL die Sendung Hotter than my daughter, bei der trutschige Töchter und zu jugendliche Mütter modisch behutsam an ihr Realalter herangeführt werden. Gerade gab der Sender bekannt, dass der Designer, der auch Supertalent-Juror ist, Deutschlands schönste Frau suchen wird. Bei der Show soll kein neues Topmodel gekürt werden, sondern eine, bei der es auch auf "Charme und Natürlichkeit" ankomme. Es wird weniger um Modelmaße gehen als um die Bundesdurchschnittsfrau, die laut Statistik Größe 44 trägt. Kretschmers Roben gehen bis 48, er weiß, sagt er, dass manche Kollegen ihn schon allein dafür hassten. "Ich liebe den Durchschnitt, was soll denn daran schlecht sein?"

An diesem Tag in Berlin, eine Woche vor der Fashion Week, empfängt er zum Gespräch. Sollen wir uns an diesen Tisch setzen? Etwas zu knabbern? Kretschmer isst Knoppers und redet los. Über seinen Garten im Grunewald, die Ausbildung in Barcelona, die Zeit als Strandverkäufer auf Ibiza. Darüber, dass es ihm egal ist, wenn irgendwo eine Fernsehkamera angeht. Er plappere dann einfach weiter. So wie jetzt: "Mein erstes Scheinwerferlicht war das meiner Pfaff 260", sagt er, die Nähmaschine habe er mit neun von seinen Eltern bekommen. Kretschmer wartet nie, ob ein Witz zündet, er feuert einfach fünf andere hinterher.

Kretschmer mag vielleicht nicht die Verehrung der Kritikerinnen in der ersten Reihe bei den Schauen in Paris haben, die den Vergleich mit Lagerfeld suchen und nie finden. Aber er hat die Liebe der Frauen aus Duderstadt und Herne, die nicht zwingend Größe 36 tragen. Wenn sie ihn in der Fußgängerzone treffen, sagen sie: "Ach, der Guido."

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Der Laufsteg des Bundesdurchschnitts und Guidos größte Bühne ist die Shopping Queen, eine tägliche Sendung bei Vox, in der fünf Frauen sich in ihrer Stadt in vier Stunden für 500 Euro zu einem vorgegebenen Thema einkleiden müssen und sich danach bewerten, sozusagen Das perfekte Dinner mit Klamotte. Eher langweilig, würde nicht Kretschmer als Kommentator ständig seitlich ins Bild rauschen und sagen, was ihm angesichts der vorgeführten Kleiderwahl gerade alles so durch den Kopf schießt.

Seine Kommentare sind Perlen der Gebrauchsunterhaltungskultur. "Sieht aus wie eine Schließerin im Frauengefängnis", betitelt er eine eher maskulin wirkende Frau. "Mit dem Kleid wirst du auch kein zweites Mal schwanger, das steht mal fest", sagt er in einer Einblendung über eine Frau, die sich von einer Verkäuferin eine Art rosa Müllsack als Kleid hat aufschwatzen lassen. Eine Dame mit einem stark gerüschten Hochzeitskleid versieht er mit den Worten: "Das sieht ungebügelt aus; als wenn die in dem Kleid eingepennt wäre."

Wenn Dieter Bohlen das sagt, fließen Tränen, und es wird nach Menschenrechtsexperten gerufen. Wenn Guido Maria Kretschmer das macht, bedanken sich die Kandidatinnen mit glühenden Wangen. Für jede Sendewoche gehen 2000 Bewerbungen ein.

Das liegt auch daran, dass der Designer seine Kritik immer nett verpackt, mit der Rechten knallt er eine, mit der Linken streichelt er danach übers Köpfchen. "Ach, ist sie nicht eine süße Maus!" ist einer dieser Streichelsprüche. Für manche scheint er der Ersatz zu sein für den Ehemann, der sich weigert, stundenlang vor Umkleidekabinen auszuharren, um eine Hose "irgendwie" zu finden. Kretschmer sagt: "Ich bin so etwas wie der beste Freund der Frauen."

Als solcher hat er ein Brevier geschrieben, " Anziehungskraft", das sich seit Wochen in den Bestsellerlisten hält, vielleicht auch, weil darin befreiende Sätze stehen für all die Frauen, die ihrer jugendlichen Schlankheit hinterhertrauern: "Es ist keine Schande, Größe 40 zu tragen, aber den Schrank voll zu haben mit Größe 34, ist dämlich." Sein Buch ist eine Huldigung an die Problemzone und die Kaschierung derselben. Nicht alle Männer können etwas mit dem sehr zugewandten Kretschmer anfangen. Sie senden ihm zuweilen hasserfüllte Briefe. Stoßen sich daran, dass er keinen Hehl daraus macht, mit einem Mann, Frank Mutters, verheiratet zu sein. Im Empfangsbereich von Kretschmers Atelier liegen Bildbände mit dessen Werken, Tiere und Pflanzen in Acryl und Öl.

Anschlussgeschäft nicht in Gefahr

Ein Stockwerk drunter sitzt der Designer an eben jenem Tisch und plaudert, hinter ihm ist die Wand gepflastert mit gerahmten Gruppenfotos aller Shopping Queens. Früher ist er für die Folgen, die jeweils in einer Stadt gedreht werden, durch Deutschland gereist, dann hat er bei Vox zur Bedingung gemacht, dass er ein Studio bei sich im Atelier eingerichtet bekommt, in dem er im Finale dann die Siegerin kürt. Der Vertrag läuft bis 2015, er macht Quote, das Anschlussgeschäft ist wohl nicht in Gefahr.

Kretschmer ist ein disziplinierter Arbeiter, seine Kollektion für die Fashion Week ist bereits seit zwei Wochen fertig. Bei der Shopping Queen rackert er ähnlich. In einem schallgedämpften Kabuff im Atelier sitzt er einen Tag die Woche zwölf Stunden lang, sieht im Monitor die Frauen bei ihren Einkäufen und kommentiert fünf Sendungen herunter. Gesendet wird wie geplaudert, er feuert munter weiter. Für großes Überlegen fehlt die Zeit, die nächste Frau in sehr engen Blumenhosen stolpert durchs Bild. Guido Maria Kretschmer sagt: "In der Mode ist es wie im Straßenverkehr, man muss immer mit dem Fehlverhalten der anderen rechnen."

In Zeiten, in denen man zugeballert wird mit ins Bild geschobenen Kommentatoren, die konfektioniertes Zeugs vom Prompter ablesen, ist das sehr erfrischend.

Als Kind saß er bei Hettlage und beriet Damen

Eigentlich hofft man, dass Kretschmer nicht noch eine Show annimmt. Er selbst sieht das gelassen, im Moment habe er Lust auf Fernsehen, darum mache er das. "Ich habe mit dem Fernsehen angefangen, als alles schon in trockenen Tüchern war", sagt er. Naomi Campbell war längst an ihrem 40. Geburtstag in GMK, wie der Designer in den USA heißt, gesichtet worden, Salma Hayek auch, nun gut, Simone Thomalla. Er produziert Uniformen, damit ist er groß geworden, der Portier im Kempinski trägt Kretschmer, die Stewardess mit dem Schleierhütchen bei Emirates, die Tui-Mitarbeiter. Besonders Russen und Araber mögen seine Mode, die er "demokratisch" nennt, weil Roben zwar auch in die Tausende gehen, es aber auch Blusen für 80 Euro gibt. Fehlt nur noch die Linie beim Shoppingsender. "Auf keinen Fall", sagt Kretschmer. Er kann das selbst entscheiden, es gibt keinen Investor. "Ich bin immer nur so weit gehüpft, wie ich konnte." Der Umsatz liegt im mittleren zweistelligen Millionenbereich.

Es vergeht kaum ein Tag, an dem es keine Nachrichten aus dem Hause Kretschmer gibt. Die Story ist dann immer so, dass der neue Job irgendetwas mit seiner Kindheit zu tun hat. Die Große-Größen-Kollektion für Heine? "Wir waren eine Katalogfamilie, meine Mutter hat immer bei Heine gekauft." Die Schuhkollektion für Högl? "Hat meine Mutter immer getragen." Die Wäschekollektion von Triumph? "Kenne ich von zu Hause." Die Barbie? "Ein Idol meiner Kindheit." Er muss als Kind ziemlich viel aufgesogen haben in der münsterländischen Pferdestadt Warendorf, in der er mit seinen drei Geschwistern aufwuchs. Einer der Höhepunkte seiner Kindheit war, wenn seine Eltern ihn mit einem Päckchen Florida Boy, Block und Stiften bei Hettlage oder C & A in Münster abluden und nach drei Stunden wieder abholten. Er zeichnete derweil Frauen vor den Umkleidekabinen und gab ihnen Tipps. "Ich fand das normal, meine Eltern fanden das normal, aber wenn ich so drüber nachdenke, muss das sehr schräg gewirkt haben."

Guido Maria Kretschmer muss los, der nächste Termin wartet, es geht um die Fashion Week, dort präsentiert er viel Pailletten, viel Schwarz, viel Weiß, flatternde Seidenstoffe. Die Kollektion hängt verhüllt in Plastik in seinem Atelier. Buchstaben flattern auf manchen Kleidern. "I love Guido" steht darauf.

© SZ vom 05.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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