Maybrit Illner:Ziemlich hohe Latten

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Annalena Baerbock und Maybrit Illner in einer Sendung vom 21.10.2021. (Foto: Jule Roehr/ZDF)

Im ZDF-Polittalk reden Baerbock und Lindner viel über seriöses und ernsthaftes Anpacken. Als es dann ums Geld geht, wankt das Kurz-vor-Koalition-Team.

Von Julia Werner

Der Politik-Talkshow-Fan muss sich jetzt mal wieder richtig konzentrieren. Schließlich haben sich FDP und Grüne bis vor ein paar Wochen ja noch sehr unterhaltsame Schlachten geliefert, in denen es um Porschefahren und Lastenfahrräder ging. Jetzt aber wird es abwechselnd "seriös und ernsthaft" angegangen (Lieblingsphrase Christian Lindner) oder später "noch gemeinsam besprochen" (Lieblingssatz Annalena Baerbock). Während der FDP-Mann gerne im Unternehmensberaterton von Stärkung der Wirtschaftsdynamik redet, ruft die Grünen-Chefin lieber leidenschaftlich "Anpacken".

Aber das war natürlich nicht der einzige Grund, warum das Boot, in dem die Chefverhandler zum ersten Mal gemeinsam im Fernsehen saßen, noch nicht so sanft glitt. Die restliche Runde, Norbert Röttgen von der CDU, Christiane Hoffmann vom Spiegel und der Politikwissenschaftler Herfried Münkler, waren sich nämlich einig, dass das gerade veröffentlichte Sondierungspapier den Eindruck erweckt, als habe man zwar ein mit großen Pinselstrichen entworfenes gemeinsames Projekt. Allein: Es fehlt noch an der Ausarbeitung. Um es so süffisant wie der Politologe zu sagen: Man hat sich die Latte selbst ziemlich hoch gelegt.

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Dass keiner der beiden Protagonisten irgendetwas über das Ministeriengeschacher preisgeben würde, das sicher schon läuft, war klar, die Frage war also eine andere: Würde es Maybrit Illner gelingen, das neue Seriös-anpacken-Team ein bisschen ins Wanken zu bringen? Die Antwort: Ziemlich schnell sogar. Und zwar mit dem Thema Finanzen.

Es muss ja ziemlich viel digitalisiert, modernisiert, also investiert werden, und dafür braucht Deutschland Geld. Aber da wäre ja noch die Schuldenbremse von 0,35 Prozent (Lieblingsreizwort der Moderatorin an diesem Abend). Baerbock ließ sich also nach langem Schuldenbremsennachhaken von Illner dazu hinreißen, 50 Milliarden Euro mehr pro Haushaltsjahr sowie Vorratsschulden im Jahr 2022, wenn die Schuldenbremse pandemiebedingt noch ausgesetzt ist, als notwendig zu beschreiben. Außerdem gebe es ja die Kreditanstalt für Wiederaufbau, und auch die Deutsche Bahn nehme Kredite auf.

Verklausuliertes Beinahe-Kentern

Wie würde Möchtegern-Finanzminister Lindner nun seine Sicht der Dinge so verklausulieren, dass das Schiff nicht kentert? Zunächst einmal könne man das ja alles noch gar nicht genau sagen, da man die konjunkturelle Entwicklung ja noch gar nicht kenne. Es seien Billionen Euro Privatkapital in Deutschland vorhanden. Und die KfW könne ein Instrument sein, privates Kapital einzusetzen. Man müsse die Dekarbonisierung und die Digitalisierung als Wachstumsprojekt sehen. So würde marktwirtschaftlich Fortschritt organisiert. Und: Die Aussetzung der Schuldenbremse sei ja für die Pandemie da und nicht fürs Klima.

All das hätte dem schon im Pyjama auf dem Sofa liegenden Zuschauer schnell zu kompliziert werden können, wäre da nicht Norbert Röttgen gewesen, der jetzt kräftig mitmoderierte, indem er dem schläfrigen Pyjamaträger die Neben- und Schattenhaushalte erklärte, die aus seiner Sicht KfW und die Deutsche Bahn sind: "Wenn man Aufgaben aus dem Haushalt auf Einrichtungen überträgt, führt das zu Intransparenz und parlamentarischem Kontrollverlust. Sie, Herr Lindner, haben sich dagegen ausgesprochen!"

Es ging dann natürlich auch noch um die Klimaziele, um Windrad- und Trassenbau und um das verflixte Wörtchen "idealerweise", das vor dem Kohleausstieg 2030 steht und die Fridays-for-Future-Generation so enttäuscht hat. Es sei sehr auffällig, fand Christiane Hoffmann, dass die FDP Punkte gemacht habe, die sie machen wollte - zum Beispiel keine Steuererhöhung und kein Tempolimit - während die Ziele der Grünen im Sondierungspapier sehr weich formuliert seien: wir streben an, wir setzen uns dafür ein. Da fiel dem mittlerweile von all den zukünftigen Herausforderungen todmüde gewordenen Talkzuschauer wieder der von irgendwo zugeschaltete Politologe Herfried Münkler ein, der an diesem Abend ja auch manchmal etwas sagte. Zum Beispiel dies: "Das System der Demokratie bringt gewiefte Taktiker hervor. Aber was sie braucht, aber aufgrund ihrer Mechanismen nicht hervorbringt, sind Strategen."

Julia Werner, die auch die Stilkolumne "Ladies and Gentlemen" in der SZ schreibt, schafft es gerade so, sich beim Talkshow-Gucken nicht von hässlichen Politikersocken ablenken zu lassen. (Foto: N/A)
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