Mankell-Verfilmung in der ARD:Höhepunkt an Fernsehvolks-Verdummung

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Satte Bilder, drastische Morde - aber kein Millimeter Tiefgang. Den ARD- Drehbuchschreibern ist es gelungen, aus dem spannenden Mankell-Buch "Der Chinese" ein langweiliges und absurdes Stück Fernsehen zu machen.

Christopher Schmidt

Wenn in einem kleinen schwedischen Weiler neunzehn Menschen auf einen Streich ermordet werden, dann ringen selbst hartgesottene Polizeibeamte abwechselnd mit den Tränen und mit dem Würgereiz.

Die sturznaive Richterin, die bei Suzanne von Borsody (Bild) durch damenhaftes Näseln die dümmsten Dialoge zu nobilitieren versucht, kann unmögliche Dinge: zum Beispiel ihren Kidnappern entgehen, indem sie mit dem Gipsarm das Autofenster zertrümmert. (Foto: dapd)

Das unprofessionelle Verhalten hat aber weniger mit der Tat selbst zu tun als mit den Gesetzen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Ja, scheint Regisseur Peter Keglevic sagen zu wollen, wir geben euch mit der Verfilmung von Henning Mankells Bestseller Der Chinese das Blutbad, aber nur unter dem pädagogischen Deckmäntelchen totaler Betroffenheit. Auch wenn dadurch die Glaubwürdigkeit zu den Opfern dieses mit drei Stunden allzu langatmig geratenen TV-Movies zählt.

Leider gehört Handlungslogik ohnehin nicht zu den Stärken des Drehbuchs von Fred Breinersdorfer, dem alten Fernsehhaudegen, der zusammen mit seiner Tochter Léonie-Claire den Roman zurechtgeschnitzt hat. Seine Fassung gibt dem Zuschauer allerhand unbeabsichtigte Rätsel auf, Ungereimtheiten und seltsame Wendungen ziehen sich als roter Faden durch den Plot, dem das Kunststück gelingt, aus einem spannenden Buch ein langweiliges Stück Fernsehen zu machen - und das, obwohl die Geschichte allenthalben zugespitzt und überdramatisiert wird.

Dass am Anfang nicht erklärt wird, wer der geheimnisvolle Fremde ist, der den grausigen Fund in dem Dörfchen Hesjövallen macht und bei seiner panischen Flucht ums Leben kommt, mag man noch akzeptieren. Aber warum ist die Richterin Brigitta Roslin eigentlich unstandesgemäß mit einem Eisenbahnschaffner verheiratet? Im Buch erfahren wir, dass er zunächst Anwalt war und nach einem Burn-out umgesattelt hat.

Michael Nyqvist, bekannt als kämpferischer Journalist aus den Stieg-Larsson-Verfilmungen, hat hier die so unglamouröse Rolle des Fahrkarten-Knipsers in der wenig kleidsamen Uniform. Die Richterin ermittelt auf eigene Faust, weil auch ihre Eltern unter den Opfern sind, was im Buch nicht der Fall ist. Und weil sie sieht, was die Behörden mal wieder nicht sehen: dass ein Zusammenhang besteht zwischen der Mordwaffe, einem Parallel-Fall in den USA - im Film ist ein einziger Mausklick auf Google klüger als Interpol - und dem Umstand, dass alle Getöteten zur selben Familie gehörten.

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Als sie im Haus der Eltern Briefe eines ihrer Vorfahren entdeckt, der beim amerikanischen Eisenbahnbau chinesische Zwangsarbeiter misshandelt hat - wer außer der ARD würde den Lieben daheim von solchen Geschmacklosigkeiten schreiben? - wittert sie einen Rachefeldzug. Und bringt sich selbst in Gefahr, da sie das nächste Opfer sein könnte.

Die dumme Polizei verhaftet natürlich den Nächstbesten, während Brigitta in einer wahrlich grotesken Volte sich vor dem chinesischen Killer, der sie mit einem Samurai-Schwert aufschlitzen will, durch den Sprung durchs Fenster rettet. Um als nächstes mutterseelenallein nach Kanton zu reisen, obwohl sie in dem rechtsfreien Land erst recht ihren Verfolgern ausgeliefert ist.

Aber egal. Die sturznaive Richterin, die bei Suzanne von Borsody durch damenhaftes Näseln die dümmsten Dialoge zu nobilitieren versucht, kann unmögliche Dinge: zum Beispiel ihren Kidnappern entgehen, indem sie mit dem Gipsarm das Autofenster zertrümmert. Und nebenbei ihre Ehe kitten. Sie findet in der Staatsbeamtin Qui Hong einen Schutzengel - zufällig ist das die Schwester des Auftraggebers, eines Mafioso, der dunkle Geschäfte mit Afrika macht und einen familiären Racheplan ausführt.

Schon im Buch ist der Zusammenhang zwischen den Morden in Schweden und den Machenschaften in China ziemlich dünn, aber der Routinier Mankell versteht es, seine Handlungsfäden raffiniert zu spannen. Außerdem dient ihm die Mordserie nur als Aufhänger für eine Geschichte über Kolonialismus, das neue China und die alten Ideale der Linken. Im Film bleiben die politischen Hintergründe diffus. Dafür spart er nicht an Drastik. So kommt es zu einem finalen Zweikampf mit dem säbelschwingenden Auftragskiller, der aus unerfindlichen, jedoch für die Heldin lebensrettenden Gründen vergessen hat, sein Schwert aus der Scheide zu ziehen. Zweischneidig sind hier allenfalls die Absurditäten und die spekulative Gewalt. So schauen wir in einer Rückblende in die traurigen Panda-Augen eines chinesischen Kindes, das mitansehen muss, wie seine Mutter vergewaltigt und umgebracht wird.

Die Weigerung, einen Millimeter unter die Oberfläche zu dringen, beschert dem Film das sattsam bekannte Übermaß an redundanten Dialogen und Bildern. Das Jahr geht also mit einem einsamen Höhepunkt an Fernseh-Volksverdummung zu Ende, dem besten Grund, ein Buch zu lesen.

Der Chinese, ARD, Freitag 20.15 Uhr.

© SZ vom 30.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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