"Maithink X" im ZDF:Fürs kritische Denken

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(Foto: Ben Knabe/ZDF)

In ihrer neuen ZDF-Show verbindet die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim Unterhaltung mit Aufklärung.

Von Lena Reuters

Mai Thi Nguyen-Kim ist mittlerweile die Allzweckwaffe des Wissenschaftsjournalismus. Ihr eigenes Denkmal errichtete sie im April 2020 mit ihrem millionenfach geklickten Video "Corona geht gerade erst los". Die promovierte Chemikerin erklärte die Pandemie so verständlich, dass für viele Menschen die Dimension des Coronavirus zum ersten Mal greifbar wurde. Seitdem füllte sich ihr Regal mit Auszeichnungen wie dem Bundesverdienstkreuz, dem Grimme-Preis und der Goldenen Kamera, und man war gespannt, was als Nächstes folgen würde. Bei ihrem neuen Sender ZDF ist sie gleich in zwei Formaten zu sehen, und das nicht mehr nur bei Youtube, sondern auch im Fernsehen. Während sie bei Terra X: Wunderwelt Chemie das Gesicht einer gelungenen, aber erwartbaren Doku-Reihe ist, stellt sie sich in der Sendung Maithink X einer neuen Herausforderung, der Showbühne. Und das ist ein echter Gewinn für das Fernsehprogramm.

Am Anfang macht sie klar, dass Effekthascherei-Experimente nicht vorgesehen sind

Vor Livepublikum präsentiert Mai Thi Nguyen-Kim von einem großen X als Studiobühne aus mit Einspielern und Sketchen jede Woche ein anderes Thema. Für die erste Sendung hat sie sich was vorgenommen: Meinungsfreiheit. Dreißig Minuten nimmt sie sich Zeit, um zwei Thesen zu untermauern: Erstens, Wissenschaft ist keine Demokratie. Zweitens, Provokation ist das beste Mittel für Aufmerksamkeit. Der Beginn wirkt holprig. Das liegt zum einen an dem sehr präsenten und aufgedrehten Publikum, das ihr zu Beginn gleich "Hi Mai" entgegenbrüllt, zum anderen an einem Gag ohne Pointe: Eine Frau im Kittel schüttet mit Nebel und Peng Flüssigkeiten ineinander, anschließend sagt Mai Thi Nguyen-Kim, dass solche Effekthascherei-Experimente nicht Teil der Sendung sein werden. Danach wird diese Sendung schneller, besser und witziger.

Maithink X fordert die Zuschauerinnen und Zuschauer heraus. Gastgeberin Nguyen-Kim sagt dem Publikum: "Ich will gar nicht, dass ihr mir blind vertrauen müsst, sondern dass ihr das, was ich über Wissenschaft sage, selbst einordnen könnt." Diese Ansage macht sie zum Thema und Programm ihrer Sendung. In Einspielern werden im Spagat zwischen Unterhaltung und Vereinfachung Begriffe wie "Ockhams Rasiermesser" oder "randomisierte kontrollierte Studie" eingeführt, ohne sich ausschließlich an Nerds und Akademiker zu richten. Nicht jeder Sketch greift gleichermaßen, aber das Debüt zeigt viel Potenzial. Was im Einspieler mit dem Heute-Show-Cast Lutz van der Horst und Fabian Köster noch etwas steif rüberkommt, geht bei Komikerin Katjana Gerz voll auf: auf den Witz gehen und dabei trotzdem inhaltlich dranbleiben.

Maithink X zeigt damit, was schon andere Shows wie das ZDF Magazin Royale und Die Carolin Kebekus Show bewiesen haben: Klare Kante zeigen und unterhalten schließen sich nicht aus. Stark ist, wie deutlich Nguyen-Kim Worte zu Verschwörungserzählungen findet, wenn sie zum Beispiel sagt: "Allein das Hinterfragen von wissenschaftlichem Konsens macht dich nicht zu Einstein." Selbst beim Thema Corona gebe es Fragen, die nun mal geklärt sind. Nguyen-Kim legt die eigenen Quellen offen, nimmt die Zuschauerinnen und Zuschauer ernst und ruft ihre Freunde der Sonne auf, sich zuzutrauen, eine Methodenkompetenz zu entwickeln. Es ist nach Kant ein "sapere aude": Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. Genau zur richtigen Zeit. Passend beendet sie auch ihre erste Sendung. Nachdem sie das Fazit zieht, Aufklärung schaffe Freiheit, spricht sie eine Einladung aus und setzt zugleich eine Grenze: "Das ist jetzt nur meine Meinung, mehr nicht, darüber können wir also gerne streiten, aber über Schwerkraft bitte nicht."

Maithink X, sonntags, ZDF, 22.15 Uhr.

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