Die Bilder der Katastrophe auf der Loveparade sind überall zu sehen. Landauf, landab wird über das Drama von Duisburg berichtet. Derartige Tragödien interessieren die Menschen, sind Teil des Zeitgeschehens, bringen Auflage und Klicks.
Gleichzeitig bedeuten solche Berichte eine schwierige Gratwanderung: Wie nahe, wie deutlich muss der Journalist in Wort und Bild heran an das Geschehen - und damit an den Tod, um seinem Auftrag gerecht zu werden. Wann überschreitet er die Linie ins Sensationsheischende und fügt Opfern und Angehörigen weiteren Schaden zu?
Die Grenze wurde diesmal für viele Leser überschritten. Beim Deutschen Presserat, dem Selbstkontrollorgan deutscher Text-Medien, häufen sich die Beschwerden. Bislang sind in Berlin etwa 140 Beschwerden eingegangen. Fast alle davon zielen auf Axel Springers Boulevard-Marke Bild. Ganze drei Beschwerden richten sich - Stand Dienstag Mittag - nicht gegen Bild oder Bild Online.
Im Fokus der Entrüstung stehen die Bilder von Bild. Seit Wochenbeginn macht Springers Schlagzeilen-Zeitung großformatig mit der Katastrophe auf, zeigt Tatort, verzweifelte Menschen, einzelne Opfer. Am Montag zeigte des Blatt über eine ganze erste Seite ein Foto vom Ort des Grauens. Zu sehen sind Menschen, die zugedeckt, die übertrampelt werden, andere, die um ihr Leben bangen. Manche Gesichter sind klar zu sehen. Bild Online zeigt unter anderem eine Bildergalerie mit dem Titel "Der Kampf um Leben und Tod". 107 Bilder, teilweise Nahaufnahmen. Unterbrochen von Anzeigen.
Unangemessen sensationell finden die Kritiker die Berichterstattung, pietätlos und die Persönlichkeitsrechte wie die Menschenwürde verletzend. Die Opfer seien teilweise erkennbar und klar zu identifizieren.
Damit richten sich die Beschwerden hauptsächlich gegen die Ziffern 8 und 11 des deutschen Pressekodex. Ziffer 8 schreibt vor, dass die Presse Privatleben und Intimsphäre zu achten habe. Knackpunkt dabei: Wenn das private Verhalten öffentliche Interessen berührt - und die Duisburger Katastrophe tut dies ohne Zweifel - darf die Presse derartiges im Einzelfall erörtern. Ziffer 11 untersagt "unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid" und mahnt den Jugendschutz an.
Der Axel Springer Verlag sieht keine Begründung für die Beschwerden. "Wie alle Medien berichtet auch Bild - aus unserer Sicht angemessen und verhältnismäßig - über die tragischen, schockierenden Ereignisse während der Loveparade", hieß es vom Verlag. Die Kritiker vertreten einen anderen Standpunkt.
Der deutsche Presserat will nun die eingegangenen Beschwerden sortieren und bündeln. Nach der Vorprüfung holt das Selbstkontrollorgan für die Fälle, die es als möglicherweise begründet ansieht, von den betroffenen Medien Stellungnahmen ein. Entschieden wird über die Loveparade-Beschwerden dann voraussichtlich erst am 14. September, wenn der Beschwerdeausschuss des Presserats wieder zusammentritt und die Berichterstattung vermutlich längst verebbt ist.
In der Zwischenzeit mahnt der Deutsche Journalisten-Verband eine sachliche Berichterstattung über die Loveparade an. "Es gibt publizistische Grundsätze, die eingehalten werden müssen", sagte die stellvertretende Bundesvorsitzende Ulrike Kaiser. Alles andere schade der Glaubwürdigkeit der Medien.
Wenn das Gremium entscheidet, kann es eine von vier Sanktionen verhängen: Eine öffentliche Rüge, die der Titel veröffentlichen muss, sowie eine nicht-öffentliche Rüge. Darunter rangiert die Missbilligung der Berichterstattung. Noch sanfter ist der "Hinweis". Rügen an Bild und Bild Online finden sich in der Chronik des Presserats häufiger, 2009 kassierten beide Titel je ein halbes Dutzend davon.
Am häufigsten setzt sich das Selbstkontrollorgan jedoch mit Regional- und Lokalzeitungen auseinander.