Fußball-Magazin "11 Freunde":Kant, Kafka und Kalle Riedle

Fußball-Magazin "11 Freunde": Ins Heft kommt, wer den Fußball liebt.

Ins Heft kommt, wer den Fußball liebt.

(Foto: 11 Freunde Cover / Collage SZ.de)

Vom Ein-Mann-Betrieb zur erfolgreichen Mannschaft: Das Magazin "11 Freunde" begleitet seit 15 Jahren Fußballfans durch Freud und Leid. Ein Redaktionsbesuch bei Romantikern.

Von Martin Schneider

Im Regal von Philipp Köster stehen eine Gas-Tröte, ein Foto von Peter Neururer mit Lederjacke und eine Plastikfigur von Diego Armando Maradona im Mars-Trikot. Wenn man nun direkt versteht, warum dieser Nippes großartig ist, dann versteht man auch 11 Freunde. Allen anderen ist das Magazin für Fußballkultur schwerer zu erklären.

Im Regal des Erfinders und Chefredakteurs stehen noch Dutzende andere Fußball-Artefakte, aber hauptsächlich ist das Zimmer leer. Ein Schreibtisch und ein Regal, voll mit Büchern, die "Kinder der Westkurve" und "Wenn Spieltag ist" heißen. Die Redaktion ist gerade umgezogen. Nur ein paar Straßen weiter in Berlin-Friedrichshain, aber sie haben größere Büros gebraucht. 11 Freunde wächst. Das Heft ist eines der wenigen in Deutschland, von dem immer mehr verkauft werden. Jetzt, im April, wird das Magazin 15 Jahre alt. Die erste Ausgabe hat Köster per Hand vorm Berliner Olympiastadion verteilt, mittlerweile liegt die Auflage bei 85 000 Exemplaren. Seit 2010 gehört 11 Freunde zu 51 Prozent dem Medienkonzern Gruner + Jahr.

Andere Themen als die übliche Fragerei nach dem Abpfiff

Köster sitzt am Schreibtisch, Brille, kurzes Haar, rundes Gesicht. Vor ihm liegt das aktuelle Heft, tags zuvor erschienen, Nummer 161. Köster blättert darin, es gefällt ihm. Besser als die Ausgabe davor, sagt er. Die ist im Umzugsstress entstanden. Sie haben ein Interview mit dem Belgier Kevin De Bruyne geführt, zurzeit einer der besten Spieler der Bundesliga. Das Gespräch lief so lala. De Bruyne sagt wenig und oft, dass er gerne schlafe. "Aber aus der Kürze der Antworten zieht das Gespräch einen gewissen Charme", sagt Köster. Bei Spielern sind die Interviews beliebt. Weil es oft mal um andere Themen geht als bei der üblichen Fragerei nach dem Abpfiff.

Die Titelseite der aktuellen Ausgabe ziert ein altes Foto. Menschen schwenken blau-weiße Fahnen auf einer Tribüne. Hinter ihnen eine Uhr ohne Ziffernblatt, der Spielstand wird mit Klapptafeln angezeigt. Es geht um den TSV 1860, den Münchner Arbeiterverein aus Giesing. Die Gegenwart des TSV ist mit schrecklich noch wohlwollend umschrieben. In der Zeitung steht täglich was von Inkompetenz, Abstieg und Heimniederlagen gegen Aue. Also druckt 11 Freunde ein Foto aus besseren Tagen. Als 60-Fan freut man sich darüber, alle anderen freuen sich über die Klapptafeln.

Allein zu den Ultras hat das Magazin ein schwieriges Verhältnis

Manche Geschichten des Magazins funktionieren so. Fußball-Romantiker werden die Macher dann genannt, und meistens ist das negativ im Sinne von Verklärung gemeint. Aber wer das Heft darauf beschränken will, macht es sich zu leicht.

Wobei das mit der Romantik auch eher neu ist. 11 Freunde, im Jahr 2000 in der Wohnung des früheren Mitherausgebers Reinaldo Coddou gegründet, war ursprünglich ein sogenanntes Fanzine. Das sind Magazine, in denen Fans schreiben, was Fans wichtig ist. Diese Themen haben meistens mit der Kommerzialisierung des Fußballs zu tun. Es geht um Stehplätze im Stadion, um Anstoßzeiten, oder um verkaufte Stadionnamen.

"Wir dachten zum Beispiel, der Stadionname sei etwas, was man nicht anrühren darf", sagt Köster. Aber sie stellten fest, dass es den Lesern gar nicht so wichtig war. Sie thematisierten das mal in einer eigenen Ausgabe. "Woran wir uns gewöhnt haben", hieß die. Dazu gehört offenbar auch, dass das frühere Fanzine nun in einem Großverlag erscheint. Der befürchtete Aufstand blieb aus. Allein zu den Ultras, der engagierten Fanszene, haben sie ein schwieriges Verhältnis. In Rostock stand mal auf einem Plakat: "Fußball leben statt studieren - 11 Freunde boykottieren."

Wer in "11 Freunde" vorkommt, muss den Fußball lieben.

Gegenüber vom Chefbüro liegt das von Tim Jürgens, Kösters Stellvertreter. An der Wand hängen die Titelbilder der Ausgaben bis ungefähr Nummer 120. Vor dem Magazin war Fußballberichterstattung in Deutschland geprägt durch den Stil des Kickers, des stocknüchternen Fachmagazins, in dem man lesen kann, dass sich das Spiel nach einer hektischen Anfangsphase beruhigt hat. Und von der SportBild, wo ja auf jeder Seite gefühlt einmal das Wort "Kabinenzoff" stehen muss.

Vor der Weltmeisterschaft 2006 gab es noch zwei weitere Magazine, die eine ähnliche Zielgruppe bedienten. Fußballfan, gebildet, männlich. Höchstens 12 Prozent der Leser sind Frauen. Dann hat sich 11 Freunde durchgesetzt. "Ich habe zu der Zeit Oliver Kahn für ein Interview getroffen, ich habe ihm ein paar Hefte mitgebracht, um ihm zu zeigen, was wir überhaupt sind. Als er dann meinte: 'Schon gut, ich lese euch', da hab ich gemerkt. Es geht aufwärts", erzählt Jürgens.

Ihr Liveticker ist der Grund, die "11 Freunde"-Webseite zu besuchen

Zur Europameisterschaft 2008 erfand der Redakteur Dirk Gieselmann dann den 11 Freunde-Liveticker und damit auch quasi den Grund, die Webseite zu besuchen. Das Magazin hatte zur EM einen normalen Fußball-Liveticker an das Internetauktionshaus Ebay verkauft. Gieselmann tickerte das erste Spiel im Stil "Pass von . . .", "Tor durch . . .". Am nächsten Tag kamen die Zugriffszahlen: sechs. In Worten: Sechs Menschen haben den Ticker gelesen. Gut, dachte Gieselmann. Dann kann ich auch was Lustiges schreiben. Das ist bis heute das Konzept: Meistens sitzen zwei Menschen vorm Computer, schauen sich ein Spiel an und schreiben über Kant, Kafka und Kalle Riedle alles auf, was ihnen dazu einfällt. Dafür gab's den Henri-Nannen-Preis und den Grimme Online Award.

Für das Heft, sagt Köster schließlich, muss eigentlich immer ein unverrückbarer Grundsatz gelten. Wer darin vorkommt, muss eine wie auch immer geartete Passion für den Fußball haben. Er hat jetzt das Porträt eines blinden Stadionsprechers aufgeschlagen. "Es freut mich ehrlich, wenn wir nach so vielen Ausgaben noch so einen Typen ausgraben", sagt er.

Aber vielleicht muss man gar nicht so viel erklären. Man kann auch eine Stelle vom Tonband mit Philipp Köster mal wörtlich abtippen. Also: "Wenn man sich heute diesen ganzen Inszenierungsquatsch rund um den Fußball anschaut. Total überzogen, total hohl. Oder die Leute, die sagen: 'Verein xy ist mein Leben'. Da steckt ein Pathos drin . . . Aber die meinen das ja ernst. Ich merke es an mir selber. Ich bin jetzt 42 und denke: Selbst wenn Arminia Bielefeld diese Woche nicht gewinnt, weiß man: Es ist nur Fußball und der Verein wird schon wieder aufsteigen. Und trotzdem ist jede Niederlage und jedes Unentschieden in der Lage, mir das Wochenende zu versauen. Ich bin dann total schlecht gelaunt." Und wer das jetzt verstanden hat, der hat auch 11 Freunde verstanden.

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