Jubiläums-"Tatort":Florian Bartholomäi - "Raus aus der Komfortzone"

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Florian Bartholomäi kann seine Figur Rainald Klapproth nicht verurteilen. (Foto: NDR/Meyerbroeker)

In "Taxi nach Leipzig" steht Florian Bartholomäi mal wieder als Mörder vor der Kamera. Wer ist der Mann, der im "Tatort" meist den Bösen spielt?

Von Carolin Gasteiger

Der Taxifahrer Rainald Klapproth möge sich doch bitte anschnallen, fordert sein Fahrgast. Als der ältere Herr den Taxifahrer selbst anschnallen will, blickt der nach rechts, packt schnell zu - und bricht dem Mann mit einem gekonnten Griff das Genick. In dieser Szene im 1000. Tatort offenbart sich, wie unberechenbar und gefährlich der junge Taxifahrer ist. Im Fond seines Wagens sitzen die beiden Kommissare Lindholm und Borowski, die Klapproth anschließend entführt. Das kammerspielartige Gespräch der drei nimmt den meisten Raum ein in "Taxi nach Leipzig". Und Florian Bartholomäi gibt diesen Rainald Klapproth undurchdringlich und ruhig, dann wieder impulsiv und furchteinflößend.

Trotzdem ist Rainald Klapproth kein böser Mensch, findet Bartholomäi. Der Taxifahrer und ehemalige Soldat wolle eigentlich nur glücklich sein mit seiner Frau, habe aber viel emotional Unverdautes im Bauch. "Er hat eine ganz andere Wahrnehmung von der Welt, eine zerrissene Seele", beschreibt Bartholomäi seine Rolle, die für ihn zu den schwersten gehört, die er bislang gespielt hat. Allein schon, weil er alles, was sich bei Klapproth emotional angestaut hat, hinterm Steuer spielen muss. Das sei doppelt einengend gewesen, sagt Bartholomäi: im Kopf und im Taxi.

Dabei sind die Bösen im Tatort dem 29-Jährigen vertraut. In "Taxi nach Leipzig" tritt er bereits zum zwölften Mal in der ARD-Krimireihe auf, meist gab er bisher den Mörder. Und das mit großer Freude, weil man als Böser doch meist noch eine Facette mehr abdecken könne. Heißt, eine Ebene mehr, die sich Bartholomäi als Darsteller erst erschließen muss, um die Figur glaubhaft zu spielen. Klapproth zu spielen, habe seinen persönlichen Horizont erweitert, er könne ihn nicht verurteilen. Vielleicht fiel es Bartholomäi deshalb auch so schwer, die Rolle abends nach Drehschluss abzulegen.

Der gebürtige Frankfurter nimmt Unterricht bei einem Schauspiel-Coach, ist ansonsten aber Autodidakt. "Das ist mein Weg, bei der Arbeit zu lernen." Wobei er das Schauspielern erst gar nicht auf dem Zettel hatte. Als 16-Jähriger fiel Bartholomäi beim Kampfsport-Training ein Flyer für ein Casting in die Hände. Man sollte Kampfsport-Erfahrung mitbringen. Er bewarb sich und bekam in "Kombat Sechzehn" 2005 seine erste Hauptrolle, darin spielte er einen Jugendlichen, der in die rechte Szene gerät. Es folgten der Kinofilm "Reine Geschmackssache", für den er mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnet wurde und "Bloch: Schattenkind", in dem er in einer Doppelrolle zu sehen war. Vor Kurzem tat der 29-Jährige einen neuen Schritt, der für ihn den Schauspielberuf vervollständigt. In Berlin steht er in "Das Bildnis des Dorian Gray" in der Titelrolle auf der Bühne.

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Auch privat betritt Bartholomäi öfter mal Neuland. So lebete er ein Jahr lang in Belgrad, einfach, um die Stadt und die Menschen dort zu erleben. Als nächstes überlegt er, nach Hamburg zu ziehen, wo er kein festes Freundesnetz hat oder berufliche Anker. "In einer neuen Stadt zu leben, ohne große Freundesstrukturen, holt einen aus der Komfortzone raus."

Diesem Motto folgt er auch in seiner zweiten Leidenschaft neben der Schauspielerei, dem Kampfsport. Eine Disziplin allein reiche ihm da längst nicht mehr. "Es geht im Grunde auch beim Kampfsport wie beim Schauspielen um Reizverarbeitung. Wenn mich jemand angreift, ist das eine ehrliche Aussage, bei der man den Reiz umsetzen muss. Man redet mit den Körpern." Sein erklärtes Ziel: Allrounder werden, im Kampfsport wie im Film.

Auch für seine Rolle als Rainald Klapproth hat Bartholomäi viel trainiert, sich aber auch mit ehemaligen Soldaten getroffen. Das habe seine Sicht auf das Militär entscheidend verändert. "Ich habe großen Respekt vor den Leuten gewonnen, die im Stillen ihre Arbeit machen und anderen Leuten das Leben retten und auf eine Wohlstandsgesellschaft verzichten." Deren Job solle man mehr wertschätzen, findet Bartholomäi.

Im Tatort sieht er einen Anker für die Menschen, der ihnen hilft, das Böse zu verstehen, der die schrecklichen Nachrichten, die jeden Tag kursieren, greifbar macht. In unserer schnelllebigen Zeit sei die ARD-Krimiserie ein Versprechen, meint Bartholomäi, eine schöne Beständigkeit. Trotzdem plädiert er dafür, mit mehr Genres zu spielen, die Grenzen aufzubrechen. "Ich würde mir mal einen Tatort wünschen, der über ein halbes Jahr erzählt wird." In dem könnten sich die Figuren entwickeln, vielleicht auch völlig verändern. Ob er sich vorstellen könne, auch mal den Kommissar zu spielen? "Ich bin sehr neugierig und das wäre ja eine gute Eigenschaft für einen Kommissar", sagt er und fügt schmunzelnd hinzu: "Aber ich bin ja noch jung."

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