Internetsender Doschd:Wie sich ein russischer Internetsender gegen den Kreml behauptet

Lesezeit: 3 min

70 000 Abonnenten finanzieren den kritischen Journalismus von "Doschd". Als Oppositionelle sieht sich seine Gründerin jedoch nicht.

Von Hannah Beitzer

Oppositioneller Sender - Natalja Sindejewa verzieht das Gesicht. Mit Adjektiven wie "kremlkritisch" oder eben "oppositionell" belegen ausländische Journalisten den russischen Sender "Doschd", seit sie ihn gegründet hat. Das ist meist anerkennend gemeint. Doch Sindejewa findet: Ihre Leute arbeiten genauso wie etwa die Kollegen in Deutschland. Und die würde doch auch niemand der deutschen Opposition zurechnen. Oder?

"Wir betrachten Themen von verschiedenen Standpunkten, lassen unterschiedliche Meinungen zu Wort kommen", sagt sie. Die 46-Jährige hat Doschd im Jahr 2010 gegründet, als Nischensender für ein junges, hippes Moskauer Publikum. 2011 berichtete man von den Massendemonstrationen auf dem Bolotnaja-Platz. Doschd wurde schlagartig bekannt. Und den Prozess gegen die Punkband Pussy Riot begleitete der Sender, die Aktivistinnen gaben hier nach ihrer Freilassung Ende 2013 ihr erstes Interview. Auch über Korruption und Vetternwirtschaft berichtete Doschd.

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Die Mehrzahl der Russen jedoch erhält alle Informationen aus den regierungstreuen Staatssendern, die großen Privatsender sind alle im Besitz staatsnaher Konzerne. "Wir beobachten ein Ausmaß an Propaganda, wie ich es nicht einmal aus Sowjetzeiten in Erinnerung habe", sagt Sindejewa. Es gibt nur wenige unabhängige Medien, eine Handvoll kleine Zeitungen, einige bekannte Blogs und eben Doschd, das inzwischen international als "TV Rain" einen guten Ruf genießt. Dafür hat Sindejewa nun in Potsdam den Medienpreis des M100 Sanssouci Colloquiums erhalten.

Die Kabelnetzbetreiber boykottierten Doschd, kein Unternehmen wollte mehr Werbung schalten

In ihrer Heimat fehlt die Anerkennung. "Man hat nur auf einen Anlass gewartet, uns zu schaden", sagt Sindejewa. Anfang 2014 war dieser Anlass da. Der Sender warf zum 70. Jahrestag des Endes der Belagerung Leningrads durch die deutsche Wehrmacht die Frage auf, ob die Stadt früher hätte aufgegeben werden sollen, um die Zahl der zivilen Opfer zu verringern. In den staatstreuen Medien und sozialen Netzwerken brach ein Shitstorm los. Der Zweite Weltkrieg, "Großer Vaterländischer Krieg" genannt, ist im post-sowjetischen Russland sakrosankt. Die Doschd-Journalisten standen als Nestbeschmutzer da.

Die Folgen waren fatal: Die Kabelnetzbetreiber boykottierten Doschd, kein Unternehmen wollte mehr Werbung schalten. Der Eigentümer des Gebäudes, in dem sich das Studio befand, kündigte den Mietvertrag. Im Vertrauen berichteten einige der ehemaligen Partner von Druck durch den Kreml. "Ich bin ihnen nicht böse, für sie stand wirtschaftlich einiges auf dem Spiel", sagt Sindejewa. Ohne das Wohlwollen der Regierung ließen sich in Russland schlecht Geschäfte machen.

Doch die Journalisten gaben nicht auf. Sie arbeiteten zunächst in einer Moskauer Wohnung weiter, strahlten ihre Programme im Internet aus. Insgesamt sähen heute 4,5 bis fünf Millionen Menschen im Monat ihre Sendungen, so Sindejewa, auch in der Ukraine, wo - ein weiterer Rückschlag - Doschd Anfang des Jahres aus dem Kabelnetz verbannt wurde. Das Geld für den Sendebetrieb erhält Doschd von den Zuschauern. 70 000 zahlende Abonnenten sind es laut Sindejewa inzwischen. "Im Vergleich zur gesamten russischen Bevölkerung ist das zwar nicht viel. Aber dass Abonnenten in Russland überhaupt für so ein Angebot bezahlen, ist einzigartig."

Das ist ein Thema, das auch die westlichen Medienmacher bewegt, die Sindejewa auf dem Colloquium in Potsdam trifft: Lässt sich im Internet ohne Werbung Geld verdienen? Reicht das Geld der Zuschauer, der Leser zum Überleben? Im Fall von Doschd muss es reichen. Denn es sieht nicht so aus, als würde sich an der Situation russischer Journalisten in naher Zukunft etwas ändern. Sindejewa: "Es gibt eine Diffamierungskampagne gegen uns, die bis heute anhält." In den Staatsmedien heiße es, sie seien gekauft, von den Amerikanern, später dann: den Ukrainern. "Es wird sehr viel Geld und Zeit in diese Kampagne hineingesteckt, da haben wir wenig Chancen, unsere Position darzustellen." Bei der Bevölkerung bleibe hängen: Wird schon was dran sein, wenn es alle sagen.

Ihr größtes Problem im Alltag sei aber ein anderes, sagt Sindejewa: "Russische Regierungsvertreter antworten nicht gern auf kritische Fragen, viele von ihnen wollen nicht in unsere Sendungen kommen." Genau das werde dem Sender dann vorgeworfen: Ihr lasst ja nie die Regierung zu Wort kommen! "Wie aber sollen wir alle Seiten eines Problems darstellen, wenn eine Seite grundsätzlich nicht mit uns redet?" Und auch unter Oppositionspolitikern stießen die kritischen Fragen der Journalisten oft auf Unverständnis. Klar, manch einer denke, man kämpfe auf derselben Seite.

Sindejewa hält es indes für wichtig, die grundlegenden journalistischen Qualitätsstandards nicht aufzugeben. Eben nicht zu einem reinen Oppositionssender zu werden. "Unsere Zuschauer sind diejenigen, die denken", sagt sie. Sobald Doschd in der politischen Berichterstattung spürbar nachlasse, müsse sie um ihre Abonnenten fürchten. Die Frage nach der Blockade Leningrads übrigens, die 2014 zur Abschaltung führte, würden sie wieder genauso stellen wie damals. Alles andere wäre für sie Verrat an ihren 70 000 Unterstützern.

© SZ vom 18.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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