"Versuch über das Sterben":Gegen das Tabu

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Regisseur Boris Nikitin. (Foto: BAK Gneborg 2020)

Der Theaterregisseur Boris Nikitin arbeitet den Entschluss seines Vaters auf, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Trotzdem hat sein Hörspiel etwas Ermutigendes.

Von Stefan Fischer

Letztlich ist es nicht dazu gekommen. Der Vater des Theaterregisseurs Boris Nikitin wollte Sterbehilfe in Anspruch nehmen, ist aber schließlich doch an den Folgen seiner Krankheit gestorben. Doch gleich nach der Diagnose ALS war der Gedanke da, niedergelegt in mehreren Patientenverfügungen: den Zeitpunkt des Todes selbst bestimmen zu wollen, um nicht ein Leben bestreiten zu müssen, das ihm, dem Vater, absehbar nicht mehr lebenswert erscheinen würde.

Die Kriterien hat Nikitins Vater in dem Jahr zwischen der Diagnose und seinem Tod mehrfach korrigiert. Den Sohn hat es anfangs irritiert, dass sein Vater sich entschieden hatte, gegebenenfalls Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Doch bald bewundert er den Mut seines Vaters und lässt einen Gedanken zu, von dem er lange nicht weiß, ob er zynisch ist: Kann das Sterben eine Form der Selbstermächtigung sein? Boris Nikitin setzt das Bekenntnis seines Vaters in ein Verhältnis zu seinem eigenen Outing als Homosexueller. Die befriedigende Erfahrung: Beide Tabus auszusprechen fühle sich extrem befreiend an.

Nikitins Hörspiel-Monolog Versuch über das Sterben ist extrem intim, der Autor überwindet darin viele Schamgrenzen, ohne dass er sein Publikum dadurch in die Fremdscham zwingen würde. Vielmehr hat das Stück etwas Ermutigendes. Weil Boris Nikitin in seiner eigenen anfänglichen Ratlosigkeit eine klare Sprache entwickelt für verstörende, schwer zu sortierende Gedanken, die einen unter Umständen selbst umtreiben. Weil er dem Schmerz und der Trauer etwas entgegensetzt, das kein fahler Trost ist, sondern eine mutige Selbstbehauptung. Versuch über das Sterben handelt dann auch nicht so sehr vom Tod, sondern ganz maßgeblich vom Leben.

Versuch über das Sterben, WDR 3, Samstag, 19.04 Uhr.

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